Wo geht's denn hier zur Professur?
Studie über den Werdegang von Nachwuchswissenschaftlern in der Physik.
?
Studie über den Werdegang von Nachwuchswissenschaftlern in der Physik.
In der Physik ist die Habilitation nicht mehr Voraussetzung für eine Professur auf Lebenszeit. Andere Wege der Qualifikation wie die Juniorprofessur oder die Leitung einer Nachwuchsgruppe haben in den vergangenen Jahren an Bedeutung gewonnen. Das ist das Fazit einer Befragung der Deutschen Physikalischen Gesellschaft (DPG) unter Universitäten und Nachwuchswissenschaftlern. Die Studie offenbart auch zwei wesentliche Probleme: Für eigenständige Forschung ist die Ausstattung einer Juniorprofessur mit Personal- und Sachmitteln meist unzureichend. Und grundsätzlich stehen selbst herausragende Nachwuchswissenschaftler vor einer ungewissen Zukunft, sofern anschließend keine für ihr fachliches Profil passende Professur verfügbar ist. Die DPG befürwortet daher den „Tenure Track“: Damit werden Nachwuchswissenschaftler zunächst befristet eingestellt, jedoch nach erfolgreicher Evaluierung automatisch in eine dauerhafte Anstellung überführt. Dieses Berufungsverfahren wird hierzulande bislang nur wenig eingesetzt.
Traditionell war der Weg vorgezeichnet: Wer in der Physik eine Hochschullaufbahn anstrebte, kam an der Habilitation kaum vorbei. Auf der akademischen Karriereleiter galt diese mehrjährige Forschungstätigkeit – üblicherweise verbunden mit Lehrverpflichtungen und unter Obhut eines Hochschullehrers – als letzte Sprosse vor der Professur auf Lebenszeit. Doch die Situation hat sich geändert. Dies zeigt die aktuelle Studie der DPG, für die die Physik-Fachbereiche der deutschen Universitäten sowie über hundert in der Physik tätige Nachwuchswissenschaftlerinnen und Nachwuchswissenschaftler befragt wurden.
Demnach ist die Zahl der Habilitationen im Fach Physik kontinuierlich zurückgegangen: In den vergangenen Jahren gab es etwa 60 Habilitationen und damit nur noch etwa halb so viele wie zu Beginn der 2000er-Jahre. Dafür haben sich die 2002 eingeführte Juniorprofessur oder die Leitung einer Nachwuchsgruppe als alternative Qualifizierungswege stärker etabliert: Zwischen 2004 und 2008 stieg die Zahl der Juniorprofessuren um 25 Prozent von 47 auf 59, im selben Zeitraum ist die Zahl der Nachwuchsgruppen ebenfalls um 25 Prozent von 97 auf 121 gewachsen. Die DPG schätzt, dass sich in Deutschland pro Jahr etwa 80 Physikerinnen und Physiker für eine Professur qualifizieren – der jährliche Bedarf an Erstberufungen ist mit rund 40 Stellen aber nur etwa halb so groß.
„Wer eine wissenschaftliche Karriere anstrebt, muss sich auf einen Hindernislauf einstellen. Es ist ein äußerst harter Wettbewerb. Die Habilitation ist aber für eine Berufung auf eine Professur nicht mehr von zentraler Bedeutung“, kommentiert Gerd Ulrich Nienhaus, im DPG-Vorstand zuständig für Fragen des wissenschaftlichen Nachwuchses, die Studienergebnisse. Zwar würden aus der Gruppe der Nachwuchsgruppenleiter etwa 60 Prozent zusätzlich eine Habilitation anstreben. „Trotzdem ist sie ein Auslaufmodell“, so Nienhaus. „Wenn eine Professur besetzt werden soll, achten die Universitäten immer weniger auf die Habilitation, sondern in erster Linie auf die Forschungsleistungen der Bewerber. Und natürlich kommt es darauf an, ob die fachliche Ausrichtung eines Bewerbers zum Forschungsprofil des Fachbereichs passt.“
Vielfalt der Qualifizierungswege
Nienhaus betont: „Einen Königsweg zur Professur gibt es nicht.“ So sind die Arbeitsbedingungen, die mit den diversen Qualifizierungswegen einhergehen, höchst unterschiedlich. Dies betrifft sowohl die verfügbaren Mittel für Personal- und Sachinvestitionen als auch die Rechte und Pflichten der Nachwuchswissenschaftler.
So sind Habilitierende in der Regel in eine bestehende Arbeitsgruppe eingebunden und als wissenschaftliche Angestellte beschäftigt. Sie betreuen Examens- und Doktorarbeiten und halten Lehrveranstaltungen ab. Für ihre Forschung können sie gewöhnlich auf die vorhandene Infrastruktur der Arbeitsgruppe zurückgreifen. Vor allem Experimentalphysiker sind vielfach auf die enge Anbindung an eine Arbeitsgruppe mit aufwändiger technischer Ausstattung und fachlicher Expertise angewiesen, um im internationalen Forschungswettbewerb mithalten zu können. Dies kann jedoch auch zu Abhängigkeiten und Einschränkungen führen.
Im Unterschied dazu haben Nachwuchsgruppenleiter ein hohes Maß an Unabhängigkeit, da sie zumeist erhebliche Summen an finanzieller Ausstattung an einen Fachbereich bringen – Mittel, die sie in einem kompetitiven Auswahlverfahren eingeworben haben. Nachwuchsgruppenleiter haben nur begrenzte oder überhaupt keine Lehrverpflichtungen. Dennoch beteiligen sie sich üblicherweise an der Lehre, weil derlei Erfahrungen für die Berufung auf eine Professur erforderlich sind. In die Entscheidungsstrukturen eines Fachbereichs sind sie jedoch in der Regel nicht eingebunden.
Indessen haben Juniorprofessoren im Wesentlichen dieselben Rechte und Pflichten wie Professoren. Insbesondere halten sie Vorlesungen, sind promotionsberechtigt und können in den Gremien eines Fachbereichs mitwirken und entscheiden. Die Berufung auf eine Juniorprofessur ist mit einem strengen Auswahlverfahren verbunden, ähnlich wie die Besetzung einer Stelle als Nachwuchsgruppenleiter. Doch viele Juniorprofessuren verfügen über deutlich geringere Personal- und Sachmittel. „Viele der experimentell arbeitenden Juniorprofessoren haben angegeben, dass die Höhe ihrer Grundausstattung völlig unzureichend sei“, erklärt Nienhaus. Daher nutzen die Juniorprofessoren die Möglichkeit, ihre Ressourcen durch Einwerbung von Drittmitteln weiter aufzustocken. Dennoch sind sie oft auf Kooperationen mit anderen Arbeitsgruppen angewiesen, um deren Gerätepark mitbenutzen zu können. „Unsere Umfrage ergab, dass die meisten Juniorprofessoren einen guten Zugang zur Infrastruktur anderer Arbeitsgruppen haben. Das kann aber zu Lasten der wissenschaftlichen Eigenständigkeit gehen“, betont Nienhaus.
Angesichts dessen stelle sich die Frage, wie man diese Qualifizierungswege weiterentwickeln könne. Nienhaus: „Eine Kombination von Juniorprofessur und Nachwuchsgruppenleitung, wie sie zum Beispiel im Rahmen der Lichtenberg-Professuren der Volkswagen-Stiftung gefördert wird, ist ein sehr attraktives Modell, um der Physik den Hochschullehrernachwuchs zu sichern.“.
Qualifiziert – und dann?
Neben der unzureichenden Ausstattung der Juniorprofessuren hat die DPG-Studie als größtes Problem die fehlende Perspektive jenseits der Nachwuchswissenschaftlerphase identifiziert. Was kommt danach? Die meisten Forscher sind dann Ende dreißig, in der Regel zu alt für den Einstieg in die Industrie. Wer nicht auf eine Professur berufen wird, steht möglicherweise in einer beruflichen Sackgasse. Denn die Finanzierung einer Juniorprofessur ist auf maximal sechs Jahren befristet, für die Leitung einer Nachwuchsgruppe läuft sie in der Regel über fünf Jahre. Und auch Habilitierende, die als wissenschaftliche Angestellte beschäftigt sind, haben nur befristete Arbeitsverträge.
„Es ist nicht akzeptabel, dass hochqualifizierte Nachwuchswissenschaftler, die mehrere Jahre erfolgreich gearbeitet haben, ohne Weiteres entlassen werden“, meint Nienhaus. Den Forscherinnen und Forschern müsse daher schon zu Anfang ihrer Qualifizierungsphase eine langfristige Perspektive geboten werden. „Sich auf eine wissenschaftliche Karriere einzulassen, ist ein Risiko“, gibt Nienhaus zu. „Um dieses Risiko kalkulierbarer zu machen, sollte der Tenure Track gängige Praxis sein.“
Die englische Bezeichnung „Tenure Track“ steht für ein Verfahren, das den Übergang von einer zeitlich befristeten Stelle zur unbefristeten Professur regelt. Einem Nachwuchswissenschaftler wird damit schon zu Beginn einer zeitlich befristeten Einstellung die Zusage auf eine Professur gegeben, sofern er im Laufe seiner Qualifizierungsphase hervorragend bewertet wird. Dieses Verfahren wird hierzulande bislang nur wenig eingesetzt. Nur ein Drittel der Stellen für Juniorprofessuren und der Leitungspositionen für Nachwuchsgruppen sind an einen Tenure Track gekoppelt. Im Zusammenhang mit der Habilitation wird dieses Verfahren nicht praktiziert.
„Mit dem Tenure Track binden sich die Fachbereiche langfristig an einen Nachwuchswissenschaftler. Wenn sie die Stellen finanziell angemessen ausstatten, investieren sie zudem erhebliche Mittel in die betreffenden Personen. Fügt man beides zusammen, ist eine strenge Auswahl der Bewerberinnen und Bewerber quasi garantiert“, so Gerd Ulrich Nienhaus. „Das muss das Ziel sein. Denn diese Praxis sichert der Physik den besten Nachwuchs.“
DPG
Weitere Infos
AL