Wo ist die Grenze für Voyager 1?
Neue Messungen widersprechen der Annahme, dass die Raumsonde kurz davor ist, die Heliopause des Sonnensystems zu erreichen und in das interstellare Medium einzutreten.
35 Jahre nach ihrem Start ist die amerikanische Raumsonde Voyager 1 kurz davor, den Einflussbereich unserer Sonne zu verlassen. So dachten die Wissenschaftler zumindest bisher, da die Detektoren der Sonde eine stetige Verlangsamung des Sonnenwinds anzeigten. Jetzt veröffentlichte Daten zeigen jedoch ein anderes Bild: Die Grenze des Sonnensystems scheint keineswegs so nahe zu sein wie vermutet – und die physikalische Beschreibung des Grenzbereichs unseres Sonnensystems muss offenbar überdacht werden.
Abb.: Innerhalb der Heliosphäre verdrängt der Sonnenwind das interstellare Gas. Die Grenze dieses solaren Einflussbereichs heißt Heliopause. In der Heliosheath, die am „Termination Shock“ beginnt, spürt der Sonnenwind bereits den Einfluss des interstellaren Mediums und wird langsamer. Außerhalb der Heliosphäre bildet sich in Bewegungsrichtung des Sonnensystems eine Stoßwelle (bow shock) im interstellaren Gas. (Bild: Nasa)
Heliopause nennen die Forscher die Außengrenze des Sonnensystems, wo der Sonnenwind endet und das interstellare Medium beginnt. Dieser Grenze vorgelagert ist eine „Heliosheath“ genannte Zone, in welcher der Sonnenwind bereits den Einfluss des interstellaren Mediums spürt und langsam abgebremst wird. Diese Abbremsung hat Voyager 1 ab April 2010 in einer Sonnenentfernung von 113,5 Astronomischen Einheiten gemessen.
Computersimulationen der Wechselwirkung des Sonnenwindes mit dem interstellaren Medium zeigen nicht nur eine Verlangsamung des solaren Plasmastroms, sondern auch eine Ablenkung von der zuvor radialen Bewegungsrichtung. Mit der Annäherung an die Heliopause sollte es also einen zunehmenden meriodinalen Plasmastrom geben. Um diesen meriodinalen Fluss zu messen, haben Robert Decker von der Johns Hopkins University in Laurel im US-Bundesstaat Maryland und seine Kollegen temporäre Reorientierungen der Voyager-Sonde angeregt, die ab 2011 alle zwei Monate für jeweils 10 bis 25 Stunden durchgeführt wurden.
Das Ergebnis ist für die Wissenschaftler ernüchternd: „Die Geschwindigkeit des meriodinalen Flusses beträgt 3 ± 11 Kilometer pro Sekunde, d.h. sie ist konsistent mit Null im Rahmen der statistischen Unsicherheiten.“ Mit anderen Worten: Die Detektoren haben entgegen der Erwartung keinerlei Ablenkung des Sonnenwinds feststellen können. „Wir schließen daher aus unseren Werten, dass Voayger 1 sich gegenwärtig nicht nahe der Heliopause befindet“, so Decker und seine Kollegen, „jedenfalls nicht in der Form, in der wir sie uns bislang vorstellen.“ Alle Theorien, die eine Ablenkung des Sonnenwinds vorhersagen, müssten überarbeitet werden – möglicherweise sei eine neue theoretische Beschreibung der Wechselwirkung des Sonnenwinds mit dem interstellaren Medium nötig.
Rainer Kayser
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