27.10.2017

Wo rohe Kräfte walten

Doppelneutronensterne als ausgezeichnete Testobjekte für alternative Gravitationstheorien.

Einsteins Allgemeine Relativitätstheorie hat 100 Jahre lang alle experimentellen Test bestanden. Diese Tests belegen jedoch nicht, wie gut die Theorie auch sehr starke Gravitations­felder, wie sie bei der Verschmelzung von Neutronen­sternen entstehen, beschreibt. Mit neuen, anspruchsvolleren Methoden können Physiker nun mit bisher unerreichter Empfindlichkeit nach Abweichungen von der Allgemeinen Relativitäts­theorie suchen. Wissenschaftler an den Max-Planck-Instituten für Gravitationsphysik und Radioastronomie haben zwei der wichtigsten Werkzeuge zur Untersuchung starker Gravitations­felder untersucht: Pulsar-Timing und Gravitations­wellen-Beobachtungen. Sie zeigten, wie man mit der Kombination dieser beiden Methoden Alternativen zur Allgemeinen Relativitäts­theorie überprüfen kann.

Abb.: Die durch Pulsar-Timing festgelegten Einschränkungen für die Abweichungen von der Allgemeinen Relativität hinterlassen eine Lücke zwischen 1,6 und 1,7 Sonnenmassen. (Bild: L. Shao, AEI, MPIfR / N. Sennett, A. Buonanno, AEI)

Erst kürzlich konnten Forscher Gravitationswellen von Neutronen­sternen beobachten. Am 17. August 2017 hat das LIGO-Virgo-Detektor­netzwerk Gravitations­wellen der Verschmelzung zweier Neutronen­sterne gemessen. Diese exotischen Objekte bestehen aus unglaublich dichter Materie: Ein typischer Neutronen­stern wiegt bis zu doppelt so viel wie unsere Sonne, hat aber einen Durchmesser von nur zwanzig Kilometern. Vor fünfzig Jahren wurden schnell rotierende Neutronen­sterne (Pulsare) zum ersten Mal beobachtet. Die genaue Natur ihrer extrem dichten Materie ist seit Jahrzehnten ein Rätsel.

Nun untersuchten die Autoren Gravitationstheorien, bei denen sich die starken Gravitations­felder innerhalb der Neutronen­sterne von denen, die die allgemeine Relativitäts­theorie vorhersagt, unterscheiden. Diese Abweichung im Bereich starker Felder bewirkt, dass Doppelstern­systeme Energie abstrahlen und schneller miteinander verschmelzen als in der Allgemeinen Relativitäts­theorie – ein Verhalten, das bei Neutronen­stern­beobachtungen sichtbar werden müsste.

„Das Gravitationsfeld an der Oberfläche von Neutronen­sternen ist ungefähr 200 Milliarden mal so stark wie das auf der Erde, was sie zu ausgezeichneten Test­objekten macht, um Einsteins Allgemeine Relativitäts­theorie und alternative Theorien im Bereich starker Felder zu untersuchen“, erklärt Lijing Shao. „In einer systematischen Untersuchung mit Pulsar-Timing-Methoden konnten wir eine Klasse von alternativen Gravitations­theorien einschränken und zum ersten Mal im Detail zeigen, wie sie mit der Physik der extrem dichten Materie zusammenhängen.“ Dies wird durch die bislang noch nicht bekannte Zustands­gleichung der Neutronen­sterne beschrieben.

Shao, der als Postdoc am Max-Planck-Institut für Gravitations­physik (Albert-Einstein-Institut, AEI) an dem Projekt arbeitete, forscht seit September 2017 am Max-Planck-Institut für Radio­astronomie. Er und seine Kollegen untersuchten elf mögliche Zustands­gleichungen für fünf binäre Pulsar-Systeme, jeweils bestehend aus einem Neutronen­stern und einem Weißen Zwerg. Sie entdeckten, dass die bislang besten Grenzwerte für alternative Gravitations­theorien bei binären Pulsaren Lücken aufweisen, die mit Hilfe der Gravitations­wellen­detektoren geschlossen werden könnten.

„Im zweiten Beobachtungslauf haben LIGO und Virgo bereits unter Beweis gestellt, dass sie empfindlich genug sind, um binäre Neutronen­sterne zu detektieren. Und ihre Empfindlichkeit wird in den kommenden Jahren weiter verbessert, wenn die Advanced LIGO und Virgo-Konfiguration erreicht wird“, sagt Noah Sennett, Doktorand und Zweitautor der Studie. „Die LIGO-Virgo-Detektoren könnten bald binäre Neutronen­stern­systeme mit geeigneten Massen entdecken. Dies könnte die Grenzwerte verbessern, die durch binäre Pulsar-Tests für bestimmte Zustandsgleichungen gesetzt werden und damit Einsteins Allgemeine Relativitätstheorie und alternative Theorien einem qualitativ neuen Test unterziehen“, sagt Alessandra Buonanno, Direktorin der Abteilung Astro­physikalische und Kosmologische Relativitäts­theorie am Max-Planck-Institut für Gravitationsphysik in Potsdam.

Zukünftige Gravitationswellen­detektoren wie das Einstein-Teleskop werden diese Tests weiter verbessern und die Lücke in den derzeitigen Rand­bedingungen schließen. Einander ergänzende Tests der Schwerkraft in starken Feldern werden in naher Zukunft Realität werden.

AEI / DE

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