Wolkenforschung in der Antarktis

Erstmalige Messung die vertikale Verteilung von Aerosolpartikeln und Wolken über der deutschen Neumayer-Station III.

In den kommenden zwölf Monaten wird zum ersten Mal die vertikale Verteilung von Aerosol­partikeln und Wolken in der Atmosphäre über der deutschen Neumayer-Station III des Alfred-Wegener-Instituts vom Boden aus beobachtet. Die höhen­aufge­lösten Messungen sind die ersten dieser Art im Königin-Maud-Land auf der atlantischen Seite der Antarktis und damit in einem Gebiet größer als Grönland. Zum Einsatz kommt dabei die Mess­platt­form OCEANET-Atmosphere des Leibniz-Instituts für Tropo­sphären­forschung TROPOS, die bereits bei der inter­nationalen MOSAiC-Expedition auf dem Forschungs­eisbrecher Polarstern für ein ganzes Jahr in der Arktis unterwegs war und nun bis 2024 in der Antarktis betrieben wird.

Abb.: Der OCEANET-Atmo­sphere-Container befindet sich auf einer festen...
Abb.: Der OCEANET-Atmo­sphere-Container befindet sich auf einer festen Platt­form über dem antark­tischen Schelfeis, die 2018 bereits ein Gewächs­haus­system des inter­natio­nalen EDEN-ISS-Projekts beher­bergt hat. (Bild: M. Radenz, TROPOS)

Das einmalige Set an Laser- und Radar-Mess­geräten wurde Anfang 2023 installiert und an Neumayer III in Betrieb genommen. Die Messungen werden im Rahmen des Projekts COALA – Kontinuier­liche Beobachtungen von Aerosol-Wolken-Inter­aktionen in der Antarktis – von der DFG gefördert und in enger Kooperation mit dem Alfred-Wegener-Institut durchgeführt.

Der Antarktische Kontinent als weltgrößter Süßwasser­speicher und das angrenzende Süd­polar­meer sind Schlüssel­komponenten des sich ändernden globalen Klimasystems. Trotzdem gelingt es Wetter- und Klima­modellen bisher noch nicht, Prozesse wie Wolken­bedeckung, Niederschlag und Strahlungs­budget in dieser Region zufrieden­stellend abzubilden. Diese Ungenauig­keiten führen dazu, dass Faktoren wie Oberflächen­temperatur des Ozeans, Energie­austausch zwischen Ozean und Atmosphäre oder die Schneemengen falsch eingeschätzt werden.

Den Wissenschaftlern fehlen genaue Referenz­daten zur Wolken­bildung in der sauberen Atmosphäre dieser relativ unbewohnten Region. „Sauber“ bedeutet dabei, dass Aerosol­partikel, also kleinste luft­ge­tragene Partikel wie Seesalz, Wüstenstaub, industrielle Luft­ver­schmutzung oder Rauch, nur in sehr geringen Mengen auftreten. Eine besondere Heraus­forderung für die Forscher stellt der ungewöhnlich hohe Anteil von unter­kühlten Wassertropfen in den Wolken über der Antarktis dar. Flüssiges Wasser tritt in Wolken bei Temperaturen zwischen -38°C und 0°C nur auf, wenn die zur Vereisung der Wolkentropfen nötigen Eiskeime - eine spezielle Unterart der atmo­sphärischen Aerosol­partikel - fehlen. Deshalb stehen Aerosol­partikel und die damit verbundenen Eisbildungs­prozesse derzeit im Fokus der Wolken­forschung.

Im Gegensatz zur Nord­hemisphäre mit mehr Landmassen und entsprechend höherer Bevölkerungs­zahl gibt es um die Antarktis vergleichs­weise wenige Quellen für Aerosol­partikel. Fern­transport könnte deshalb eine wichtige Rolle spielen, ist aber bisher kaum untersucht. Dass der Rauch der Waldbrände in Sibirien 2019 auch noch im folgenden Winter über der zentralen Arktis schwebte, war ein unerwartetes Ergebnis der MOSAiC-Expedition. „Dank unserer Messungen wurde klar, dass diese Partikel die Atmosphäre in den Polar­gebieten sehr lange beein­flussen können. 2019/20 konnten wir den Rauch der großen Waldbrände in Australien auch noch auf der anderen Seite des Pazifiks in Chile registrieren. Doch wieviel von diesem Rauch oder von Aerosol­partikeln aus anderen Quellen gelangt bis in die Antarktis? Das kann momentan niemand sagen. Wir hoffen, dass wir durch die Messungen an Neumayer III diese Wissenslücke schließen können“, erläutert Patric Seifert vom TROPOS.

Flugzeugmessungen sind in dieser abgelegenen Region selten und können immer nur eine Moment­aufnahme sein. Mit Satelliten lassen sich diese klein­skaligen Aerosol-Wolken-Interaktions­prozesse dort ebenfalls kaum mit der nötigen Genauigkeit erfassen. Doch boden­gestützte, vertikal aufgelöste Langzeit­beobach­tungen von Aerosol, Wolken und Niederschlag in der Antarktis sind bisher selten. „Nach unseren Recherchen hat es in der riesigen Antarktis bisher nur 13 Monate lang koordinierte zusammen­hängende Messungen mit Wolkenradar und Aerosol-Lidar gegeben und auch nur auf der anderen Seite der Antarktis - im 3500 Kilometer entfernten Teil der Antarktis, der an den Pazifik grenzt. Im Gegensatz zu Neumayer III steht die US-Station McMurdo auf Fels statt auf Schelfeis, was auch noch einen großen Unterschied macht“, unterstreicht Ronny Engelmann vom TROPOS, der die Mess­platt­form OCEANET-Atmosphere betreut und dadurch auch bei der inter­nationalen MOSAiC-Expedition in der Arktis auf dem ersten Fahrt­abschnitt dabei war.

OCEANET-Atmosphere ist ein autonomer, polar­erprobter, modifi­zierter Mess­container, voll­gestopft mit modernstem Equipment zur Atmosphären­beobachtung. Aktuell ist es die einzige polare Einzel­container-Plattform, die mit Mehrwellen-Lidar, Radar und Mikro­wellen­radio­meter Aerosole, Wolken und Niederschlag sowie mit Doppler-Lidar und -Radar turbulente Luft­bewegungen in Wolken beobachten kann.

Im Rahmen des DFG-Forschungs­projektes COALA wurde dieser Container jetzt im antarktischen Sommer mit dem deutschen Forschungs­eisbrecher Polarstern an­trans­portiert und auf einer festen Messplattform in der Nähe der Forschungs­station Neumayer III auf dem Ekström-Schelfeis etwa 4000 Kilometer südlich von Kapstadt installiert. OCEANET tritt damit in die Fußstapfen des inter­nationalen EDEN-ISS-Projekts, das an dieser Stelle 2018 ein Container­system mit Gewächshaus­versuchen zur Verpflegung im All betrieben hatte.

Anfang 2023 haben die beiden TROPOS-Forscher Ronny Engelmann und Martin Radenz ihre Messgeräte in Betrieb genommen. Inzwischen tastet erstmals der grüne Laser eines Mehrwellen-Lidars die Atmosphäre über Neumayer III ab. Aus der Laufzeit, Intensität und Polarisation der zurück­ge­streuten Signale lassen sich Informationen über Höhe, Menge und Art der Staubpartikel in der Atmosphäre ableiten. Engelmann ist nach dem Aufbau bereits zurück in der Heimat. Sein Kollege Radenz dagegen wird im Eis bleiben.

„Um die Qualität der Messungen außerhalb der sehr kurzen Sommersaison zu sichern und den ganzen Jahresgang abzubilden, gibt es kaum Alter­nativen als vor Ort zu bleiben. Für einen regelmäßigen Austausch des Personals im Winter wie bei MOSAiC ist die Station schlicht zu abgeschieden. Eine Heraus­forderung, auf die wir dank der Erfahrungen vom AWI gut vorbereitet worden sind“, sagt Radenz, der zum zehn­köpfigen Team gehört, das 2023 auf der Neumayer-Station III über­wintern wird.

Bereits seit Dezember 2019 werden am Spurenstoff-Observatorium der Neumayer-Station III zwei Parameter gemessen, die Auskunft über die Wolkenbildung geben: die Konzen­tra­tionen an Wolken­kondensations­keimen und Eisnuklea­tions­keimen. Diese kontinuier­lichen Messungen erlauben Rückschlüsse auf die jahres­zeitlichen Änderungen der Bewölkung. „Wir sehen einen ausgeprägten Jahresgang mit um Faktor zehn höheren Werten an Wolken­konden­sations­keimen im Sommer“, sagt Silvia Henning vom TROPOS, die diese Messungen in Kooperation mit dem AWI betreut. Zusammen mit Fern­erkundungs­messungen entsteht so ein umfassender Datensatz, der Aerosol-Wolken-Interaktion vom Boden bis in die Stratosphäre charak­te­risiert.

„Mit den OCEANET-Instrumenten heben wir die Möglich­keiten der Wolken­forschung auf ein neues Niveau“, betont Radenz und bezieht sich auf die Fähigkeiten von Doppler-Lidar und Doppler-Radar, die Luft­bewegungen in der Atmosphäre beobachten zu können. „Denn bisher fand in nur wenigen Studien Beachtung, dass auch die Turbulenz der Atmosphäre einen wichtigen Einfluss auf die Bildung von Wolken und auf die Entstehung von Wassertropfen bei Temperaturen von unter 0°C haben kann. Vertikal­winde sind ein weiteres unerlässliches Element, um die Trans­formation von Aerosol­partikeln und Wasserdampf hin zu Wolken, Eisbildung und Niederschlag beschreiben zu können.“

Die jetzt gestarteten Messungen an der Neumayer-Station III sollen später mit bereits vorhandenen Daten­sätzen aus Südchile, Zypern, Deutschland und der Arktis verglichen werden und neue Erkenntnisse liefern, weshalb die Wolken im äußersten Süden sich so stark von denen auf der Nord­hemi­sphäre unter­scheiden.

TROPOS / RK

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