Wolkenwellen auf Venus
Beständige Schwerewelle deutet auf komplexe Dynamik der Venusatmosphäre hin.
Die Venus ist kein besonders wirtlicher Ort. Auf ihrer Oberfläche herrschen hohe Temperaturen von rund 450 Grad Celsius. Die sehr dichte Atmosphäre besteht vor allem aus Kohlendioxid, das für einen starken Treibhauseffekt sorgt. Dichte Wolken aus Schwefelsäure reichen bis in etwa 65 Kilometer Höhe. Der Luftdruck auf der Oberfläche beträgt rund das 90-fache des irdischen. Da diese extremen Witterungsbedingungen direkte Aufnahmen von der Venus unmöglich machen, sind Raumsonden das Mittel der Wahl, um mit Infrarot- und Ultraviolett-Aufnahmen die Atmosphäre und mit Radar die Topologie der Venus zu erkunden.
Abb.: Infrarot-Bilder der Venussonde Akatsuki über fünf Tage (links oben und unten) zeigen die Ortsbeständigkeit der Schwerewelle. Auch im Ultravioletten (rechts oben) zeichnet sich die Struktur in der Venusatmosphäre ab. (Bild: Planet-C)
Die japanische Weltraumagentur JAXA hat deshalb 2010 die Venussonde Akatsuki – „Morgendämmerung”, früher auch Planet-C oder Venus Climate Orbiter genannt – auf den Weg gebracht, da das Schicksal der 2005 gestarteten ESA-Sonde Venus Express bereits besiegelt war: Letztere ist nach ihrem Missionsende 2014 in der Venusatmosphäre verglüht. Akatsuki hätte Venus Express noch einige Jahre Gesellschaft leisten sollen. Allerdings verlief der Eintritt in den Venus-Orbit nicht nach Plan. Das Haupttriebwerk zündete nicht, so dass Akatsuki an der Venus vorbeisauste und die kommenden fünf Jahre um die Sonne kreiste, bis am 6. Dezember 2015 die nächste Chance für ein Einschwenken um die Venus gekommen war. Dieses Mal kam das Manövertriebwerk – vier kleine Düsen, die eigentlich nur für die Ausrichtung der Raumsonde zuständig sind – zum Einsatz und bugsierte Akatsuki in den geplanten Venus-Orbit. Von dort soll sie die Atmosphäre, das Klima und die Blitze auf unserem Nachbarplaneten untersuchen.
Die Wissenschaftler hatten Glück im Unglück: Trotz der um fünf Jahre verspäteten Mission konnten die Forscher am 7. Dezember 2015, gleich auf den ersten Bildern nach dem Eintritt in den Venus-Orbit, auffällige Formationen in den oberen Wolkenschichten identifizieren. Vor allem auf den Infrarot-Aufnahmen der Long Infrared Camera (LIR) zeichnete sich dank der hohen Temperaturauflösung dieser Kamera deutlich eine riesige Bogenstruktur auf der Venus ab, die sich vom Nordpol bis zum Südpol zog. Die Gesamtlänge dieser Wolkenstruktur betrug über 10.000 Kilometer. In den oberen Wolkenschichten herrschen sehr viel tiefere Temperaturen von rund minus 70 Grad Celsius. Da Venus einen retrograden Rotationssinn besitzt und sich von Ost nach West dreht, bewegen sich auch die Höhenströme westwärts.
Da diese Wolken im fraglichen Wellenlängenbereich nur einen kleinen Teil der Sonnenstrahlung reflektieren, liefert die LIR-Kamera tags wie nachts gute Bilder. UV-Messungen sind hingegen auf die Tagseite beschränkt. Auch auf den UV-Aufnahmen zeichnete sich die Wolkenstruktur ab, allerdings mit deutlich geringerem Kontrast. Die Temperaturunterschiede zwischen den heißesten und kältesten Regionen der Wolkenformation betrugen rund fünf Kelvin.
Wie Nachfolgeaufnahmen mit LIR aus den kommenden Tagen zeigten, blieb diese Struktur ortsfest – eine große Überraschung angesichts der heftigen Höhenwinde auf Venus, die mit Geschwindigkeiten von rund 360 Kilometern pro Stunde um den Planeten ziehen. Diese überraschend schnellen Höhenströme sind deutlich rascher als die sehr langsame Eigenrotation der Venus: Sie wehen in nur vier Erdtagen einmal um den Planeten. Das ist sechzigfach schneller als ein Venustag, der 243 Erdtage dauert. Der Grund für diese „Superrotation” der oberen Schichten der Venusatmosphäre ist bislang noch rätselhaft. Die ersten LIR-Aufnahmen endeten am 12. Dezember 2015, da Akatsuki einige notwendige Operationen durchführen musste, bis am 15. Januar 2016 der Messbetrieb weitergehen konnte. Zu diesem Zeitpunkt war die Struktur verschwunden.
Ein internationales Forscherteam um Makoto Taguchi von der Rikkyo University in Tokio hat die Aufnahmen nun eingehend analysiert und mit Atmosphärenmodellen der Venus verglichen. Die Struktur und die Ortsbeständigkeit weisen eindeutig auf eine außergewöhnlich starke Schwerewelle hin, die sich vermutlich über einem Bergrücken gebildet hat. Geografisch lässt sich der Ursprung auf dem Plateau von Aphrodite Terra verorten, einer ausgedehnten Hochlandregion in Äquatornähe. In den letzten zwölf Monaten konnten die Forscher aber keine weiteren derartig starken Ereignisse ausmachen. Lediglich vier kleinere Ereignisse zeichneten sich ab. Dabei blieben allerdings die Temperaturunterschiede bei weniger als ein Kelvin.
Herkömmlichen Atmosphärenmodellen der Venus zufolge erscheint die Ausbildung so ausgeprägter Schwerewellen nach Ansicht der Forscher schwierig. Bodennahe, sehr viel langsamere Winde müssen den höheren Wolkenschichten eine Struktur aufprägen. Neutralisierende Zwischenschichten sollten dies jedoch verhindern. Nach Simulationen der Forscher spricht die Struktur der Wolkenformation zwar für ein einige Kilometer hohes Hindernis wie etwa einen Bergrücken. Die heute bekannten Daten erlauben aber keine exakte Modellierung der unteren Atmosphärenschichten. Wahrscheinlich sind die Luftströmungen in den unteren Atmosphärenschichten der Venus komplexer als bislang angenommen. Stärkere räumliche und zeitliche Variationen würden auch erklären, warum seitdem keine weiteren Schwerewellen wie im Dezember 2015 aufgetreten sind.
Dirk Eidemüller
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