10.08.2021 • Biophysik

Zelluläre Filamente im Takt

Neues Modell beschreibt die Koordination schlagender Flimmerhärchen.

Ein neues Modell beschreibt die Koordination schlagender Flimmer­härchen und erlaubt es ihr funktionelles Verhalten vorher­zusagen. Forscher des MPI für Dynamik und Selbst­organisation unter­suchten die Bildung meta­chronischer Wellen in Gruppierungen von Zilien und die Auswirkungen von äußeren Einflüssen auf diese. Das Modell ermöglicht ein besseres Verständnis der fundamentalen Rolle, die Zilien in vielen biologischen Prozessen spielen und legt den Grundstein, um sie zu modifizieren. Das könnte entsprechende medizinischen Diagnosen und Behandlungen verbessern, aber auch bei der Entwicklung künstlicher Systeme im Bereich der Mikrotechnik helfen.

Abb.: Meta­chro­nische Wellen von Zilien er­mög­lichen einen...
Abb.: Meta­chro­nische Wellen von Zilien er­mög­lichen einen kon­trol­lierten Flüssig­keits­trans­port. (Bild: Fleisch­mann, Novak, Golestanian, MPIDS)

Zilien sind fadenförmige, haarähnliche Strukturen, die auf fast allen Zellen des mensch­lichen Körpers zu finden sind. Je nach Gewebe erfüllen sie eine Vielzahl wichtiger Aufgaben, etwa den Abtransport von Schleim in der Luftröhre, den Zugang zu Nähr­stoffen und die Gewähr­leistung der Links-Rechts-Asymmetrie während der embryonalen Entwicklung. Als Kontrolleure des Flüssigkeits­transports in großem Maßstab folgen die beweglichen Zilien dabei zyklischen Schlag­mustern. Auf diese Weise über­mitteln sie mechanische Signale an benachbarte Zilien und erzeugen gemeinsam meta­chronische Wellen. In der Regel sind Tausende von Zilien an der Erzeugung einer solchen Welle beteiligt.

Daher muss ihre Bewegung genau reguliert werden, um ihre biologische Funktion zu gewähr­leisten und zu optimieren. Aufgrund der über­wältigenden Komplexität und des viel­schichtigen Charakters des Phänomens fehlte bisher ein mecha­nis­tisches Verständnis der Selbst­organisation von Zilien zu meta­chronischen Wellen. „Unser Modell ermöglicht ein tief­greifendes Verständnis der Organisation von Zilien-Arrays“, erklärt Ramin Golestanian vom MPIDS, der Leiter der Studie. „Zum ersten Mal sind wir nun in der Lage, die Parameter und Eigen­schaften einer sich bildenden meta­chronischen Welle vorher­zusagen.“

Durch die Entwicklung derartiger Modelle für Zilien-Gruppie­rungen kann ebenfalls beschrieben werden, wie externe und interne Faktoren die Funktion des Systems beeinflussen können. So können beispiels­weise Veränderungen in der Konzentration bestimmter Chemikalien oder Komponenten in der Umgebung Veränderungen auf kleiner Skala hervorrufen und somit die entstehenden Wellen verändern und zu systemischen Funktions­störungen führen. Um das zu verstehen, muss das Verhalten der Zilien von mehreren Seiten beleuchtet werden.

Seit langem ist bekannt, dass hydro­dynamische Inter­aktionen zwischen Zilien für deren Koordination sorgen können. Die Koordination der Zilien wird also dadurch erklärt, dass die aus dem Schlag einer Zilie entstehende Strömung das Verhalten der gesamten Gruppe beeinflusst, was letztlich die meta­chronische Welle verursacht. Das neue Modell ermöglicht nun, die Bedingungen für viele unabhängig vonein­ander schlagende und sich koordi­nierende Zilien zu berück­sichtigen. In ihrem Modell konzentrieren sich die Forscher auf die grund­legenden Eigen­schaften der Zilien, wie beispiels­weise ihre unter­schied­lichen schlag­harmonischen oder genomischen Merkmale. Indem sie diese Eigen­schaften zu dem resul­tie­renden, wellen­förmigen Schlag­rhythmus ins Verhältnis setzen, schaffen sie einen leistungs­fähigen theoretischen Rahmen zur Beschreibung der Zilien-Koordination.

Das neue Modell ist somit in der Lage, sowohl Veränderungen innerhalb des Zilien-Systems zu erklären als auch Vorhersagen über das kollektive Verhalten der Zilien zu treffen. „Da das ein besseres Verständnis der Organisation auf mikro­skopischer Ebene ermöglicht, legt die Studie den Grundstein für eine Vielzahl potenzieller Anwendungen“, so Golestanian. Dazu gehören die diagnostische Analyse von Fehl­funktionen in biologischen Proben, neue Ansätze für medizinische Behandlungen zur Beeinflussung des Verhaltens der Zilien oder auch die Entwicklung künstlicher Systeme unter Verwendung meta­chronischer Wellen.

MPIDS / RK

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