Forscherteams der Teilchenexperimente ATLAS und CMS am Large Hadron Collider ist es erstmalig gelungen, den Zerfall des Higgs-Teilchens in zwei b-Quarks zu beobachten. Laut Theorie zerfällt weit mehr als die Hälfte aller Higgs-Teilchen in diese beiden Quarks, allerdings ist es extrem schwierig, diesen Prozess aus den vielen anderen Dingen herauszufiltern, die bei den Kollisionen im LHC am passieren. Das Ergebnis ist eine weitere Bestätigung der Theorie, die alle Teilchen und Kräfte beschreibt, und ein weiterer Beweis, dass das Higgs-Teilchen tatsächlich allen Elementarteilchen ihre Masse verleiht.
Abb.: Kollision im Teilchenbeschleuniger LHC, bei der ein Higgs-Teilchen in zwei b-Quarks zerfällt.( Bild: CMS Coll., CERN)
Quarks sind fundamentale Bausteine der Materie. Es gibt sechs Sorten von ihnen. Die uns vertraute Materie besteht aus u- und d-Quarks, daneben gibt es s-, c-, b- und t-Quarks, die unter anderem in Teilchenbeschleunigern entstehen können. Das 2012 am LHC erstmals nachgewiesene Higgs-Teilchen bildete den Schlussstein des Standardmodells. Mit der genauen Untersuchung der Eigenschaften des nach dem britischen Theoretiker Peter Higgs benannten Teilchens hoffen Physiker besser zu verstehen, wie es anderen Elementarteilchen ihre Masse verleiht.
„In den Teilchenkollisionen im LHC werden unzählige b-Quark-Paare durch alle möglichen Prozesse erzeugt. Das macht es so schwer, genau diejenigen herauszufiltern, an deren Entstehung ein Higgs-Teilchen beteiligt gewesen ist“, erklärt Kerstin Tackmann vom DESY, die innerhalb der internationalen ATLAS-Forschungskooperation die Higgs-Arbeitsgruppe leitet. „Um das Higgs-Signal im Vergleich zu den anderen Prozessen anzureichern, benutzen wir Signaturen wie die Produktion des Higgs-Teilchens zusammen mit Austauschteilchen der schwachen Wechselwirkung.“
„Wir haben endlich den am häufigsten vorkommenden Zerfall des Higgs-Teilchens zweifelsfrei entdeckt“, sagt DESY-Forscher Rainer Mankel, der in der CMS-Kooperation die Arbeitsgruppe zum Higgs-Zerfall in zwei b-Quarks leitet. „Die Stärke seiner Wechselwirkung mit dem schwersten Quark, in das es überhaupt zerfallen kann, unterstützt eindrucksvoll die Theorie, der zufolge die Elementarteilchen ihre Masse durch die Wechselwirkung mit dem Higgs-Feld erhalten.“ Die Wissenschaftler wollen ganz genau wissen, wie Quarks und Higgs-Teilchen miteinander interagieren. Einerseits kann man so den Prozess, der Elementarteilchen Masse verleiht, besser verstehen. Anderseits könnte jede Anomalie im Verhalten der Teilchen, jede Abweichung von der zu Grunde liegenden Theorie, ein Hinweis auf etwas Neues und Unerwartetes sein.
Zu Beginn des LHC-Betriebs war nicht klar, ob die beiden Detektoren CMS und ATLAS diese Messungen überhaupt machen können, aber sowohl der Teilchenbeschleuniger als auch die Detektoren übertreffen regelmäßig die Erwartungen an ihre Leistungsfähigkeit. Und die Analysetechniken wurden entscheidend weiterentwickelt, zum Beispiel mit komplexen Algorithmen, die auf maschinellem Lernen basieren. In den kommenden Jahren werden sowohl Detektoren als auch Beschleuniger umgebaut, um ab 2026 die Teilchenkollisionsrate auf ein Rekordniveau von über fünf Milliarden Proton-Proton-Kollisionen pro Sekunde zu erhöhen. Mit der deutlich höheren Kollisionsrate und den neuen Detektoren kann die Präzision der Messungen in Zukunft deutlich verbessert werden.
DESY / RK