Zoom auf dunkle Materie
Computersimulation zeigt: Große und kleine Halos aus dunkler Materie ähnlich sich.
Ein internationales Forscherteam hat mit Supercomputern durchgeführte Simulationen veröffentlicht, bei denen sich in eine typische Region eines virtuellen Universums hineinzoomen lässt. Der Zoom umfasst eine zuvor unerreichte Detailschärfe. Dadurch konnte das Team detaillierte Bilder von Hunderten virtueller Halos aus dunkler Materie erstellen, von den allergrößten bis zu den allerkleinsten, die man in unserem Universum finden dürfte.
Dunkle Materie spielt eine wichtige Rolle in der kosmischen Entwicklung. Galaxien sind gewachsen, als sich Gas abkühlte und im Zentrum riesiger Halos aus dunkler Materie kondensierte. Im Laufe der kosmischen Entwicklung entkoppelten die Halos von der Hintergrundexpansion des Universums infolge der Anziehungskraft ihrer eigenen dunklen Materie. Astronomen können aus den Eigenschaften der Galaxien auf die Struktur großer Halos aus dunkler Materie schließen, aber sie haben keine Informationen über Halos, die zu klein sind, um eine Galaxie zu enthalten.
Die größten Halos aus dunkler Materie im heutigen Universum enthalten riesige Galaxienhaufen. Ihre Eigenschaften sind gut untersucht und sie enthalten über eine Billiarde Sonnenmassen. Andererseits sind die Massen der kleinsten Halos aus dunkler Materie unbekannt. Die Theorie der dunklen Materie, die dem neuen Supercomputer-Zoom zugrunde liegt, lässt vermuten, dass sie eine Masse ähnlich der Erdmasse haben könnten. Solch kleine Halos wären extrem zahlreich und würden einen beträchtlichen Anteil der gesamten dunklen Materie im Universum enthalten. Allerdings würden sie während der gesamten kosmischen Geschichte dunkel bleiben, weil Sterne und Galaxien nur in Halos wachsen, die mindestens eine Million Mal massereicher sind als die Sonne.
Das Forschungsteam hat fünf Jahre lang seinen kosmischen Zoom entwickelt, getestet und durchgeführt. Damit konnten die Wissenschaftler die Struktur der Halos aus dunkler Materie mit allen Massen zwischen der Erde und einem großen Galaxienhaufen untersuchen. In Zahlen: Der Zoom deckt einen Massenbereich von zwanzig Größenordnungen ab.
Überrascht stellten Forscher fest, dass alle Halos sehr ähnliche innere Strukturen aufweisen: Sie sind im Zentrum sehr dicht, werden nach außen hin zunehmend diffuser und in ihren äußeren Regionen gibt es kleinere Klumpen, die um die Halos kreisen. Ohne einen Maßstab ist es fast unmöglich, das Bild eines Halos aus dunkler Materie von der Größe einer massereichen Galaxie von einem Halo mit weniger als einer Sonnenmasse zu unterscheiden. „Unsere Ergebnisse haben uns wirklich überrascht“, sagt Simon White vom MPI für Astrophysik. „Jeder dachte, dass die kleinsten Klumpen dunkler Materie ganz anders aussehen würden als die großen, die wir schon viel besser kennen. Aber als wir nun endlich in der Lage waren, ihre Eigenschaften zu berechnen, sahen sie genau gleich aus.“
Das Ergebnis hat auch eine potenzielle praktische Anwendung. Teilchen aus dunkler Materie könnten nahe den Zentren von Halos kollidieren und sich – einigen Theorien zufolge – gegenseitig vernichten, wobei Gammastrahlung ausgesendet wird. Die neue Zoom-Simulation erlaubt es den Wissenschaftlern zu berechnen, wie stark die zu erwartende Strahlung für Halos unterschiedlicher Masse sein würde. Ein Großteil dieser Strahlung könnte von Halos aus dunkler Materie stammen, die zu klein sind, um Sterne zu enthalten. Zukünftige Gammastrahlen-Observatorien könnten in der Lage sein, diese Emission nachzuweisen und die kleinen Objekte einzeln oder in der Summe sichtbar zu machen. Das würde dann die vermutete Natur der dunklen Materie bestätigen.
MPA / RK
Weitere Infos
Originalveröffentlichung
- J. Wang et al.: Universal structure of dark matter haloes over a mass range of 20 orders of magnitude, Nature 585, 39 (2020); DOI: 10.1038/s41586-020-2642-9
- Computergestützte Astrophysik, Max-Planck-Institut für Astrophysik, Garching