Zwerggalaxie als Geburtshelfer
Zusammenstöße der Milchstraße mit Satelliten-Galaxie lösten wiederholt die Entstehung neuer Sterne aus.
Satelliten-Galaxien haben einen großen Einfluss auf die Struktur großer Sternsysteme. Bei unserer Milchstraße spielt die Sagittarius-Zwerggalaxie eine besonders wichtige Rolle: Nahe Vorbeiflüge und Passagen des kleinen Sternsystems durch die galaktische Scheibe haben die Architektur der Milchstraße entscheidend geprägt, wie insbesondere die Analyse der Daten des Astrometrie-Satelliten Gaia der Europäischen Weltraumorganisation ESA belegen. Doch das ist noch nicht alles, wie jetzt ein Team von Astronomen aus Spanien und Italien zeigt: Die Zusammenstöße der Sagittarius-Zwerggalaxie mit der Milchstraße haben auch wiederholt Phasen deutlich erhöhter Sternentstehung in der Galaxis ausgelöst.
Gaia führt seit 2013 eine dreidimensionale optische Durchmusterung des ganzen Himmels durch und erfasst dabei über eine Milliarde Objekte. Tomás Ruiz-Lara von der Universität La Laguna auf Teneriffa und seine Kollegen haben jetzt anhand dieser Daten die Helligkeit, Farbe und Entfernung der Sterne in der Sonnenumgebung bis zu einer Entfernung von 6500 Lichtjahren untersucht und daraus mithilfe von Entwicklungsmodellen das Alter der Sterne abgeleitet. „Die Gaia-Daten zeigen uns, dass es in der Milchstraße drei Phasen erhöhter Sternentstehung gab“, so Ruiz-Lara. „Ihr Maximum hatten diese Phasen vor 5,7, 1,9 und 1,0 Milliarden Jahren – in guter Übereinstimmung mit den Passagen der Sagittarius-Galaxie.“
Die Sagittarius-Zwerggalaxie ist ein irregulärer Begleiter der Milchstraße, der etwa eine Milliarde Sterne enthält. Zum Vergleich: Die Milchstraße ist eine große Spiralgalaxie mit ungefähr 250 Milliarden Sterne. Sagittarius befindet sich derzeit 70.000 Lichtjahre von der Milchstraße entfernt. Modelle der Bahnbewegung zeigen jedoch, dass Sagittarius bereits drei Mal durch die Milchstraße hindurchgeflogen ist. Diese Zusammenstöße fanden vor fünf bis sechs, vor zwei und vor einer Milliarde Jahren statt – also eben zu jenen Zeiten, für die Ruiz-Lara und seine Kollegen auch eine erhöhte Sternentstehungsrate finden.
Der Durchgang der Zwerggalaxie durch die Milchstraßenscheibe löse sich wellenförmig ausbreitende Verdichtungen im interstellaren Medium aus, die dann wiederum zur Entstehung neuer Sterne führen, so die Forscher. Je nach Geschwindigkeit und Eintrittswinkel der Zwerggalaxie dauern diese Phasen unterschiedlich lange an: etwa zwei Milliarden Jahre bei der ersten Passage, 600 und 400 Millionen Jahre bei den nachfolgenden Durchgängen. Da die erste Sternentstehungsepisode von vor 6,2 bis vor 4,2 Milliarden Jahren andauerte, fällt auch die Entstehung unserer Sonne und ihrer Planeten in diese Epoche. „Das heute allgemein akzeptierte Alter der Sonne liegt bei 4,7 bis 4,8 Milliarden Jahren“, so Ruiz-Lara. „Es ist also denkbar, dass auch unser Sonnensystem infolge des ersten Einfalls der Sagittarius-Zwerggalaxie entstanden ist.“ Das sei allerdings im Augenblick noch Spekulation und weitere Beobachtungen seien nötig, um diese Vermutung zu erhärten.
Rainer Kayser
Weitere Infos
- Originalveröffentlichung
T. Ruiz-Lara et al.: The recurrent impact of the Sagittarius dwarf on the star formation history of the Milky Way, Nat. Astron., online 25. Mai 2020; DOI: 10.1038/s41550-020-1097-0 - Departamento de Astrofísica, Universidad de La Laguna, Teneriffa, Spanien
- Astrometrie-Satellit Gaia, European Space Agency
Weitere Beiträge
- Gaia Collaboration: Gaia Data Release 2: summary of the contents and survey properties, Astron. Astrophys. 616, A1 (2018); DOI: 10.1051/0004-6361/201833051
- M. Cignoni et al.: Recovering the star formation rate in the solar neighborhood, Astron. Astrophys. 459, 783 (2006); DOI: 10.1051/0004-6361:20065645
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