Das geheime deutsche Uranprojekt 1939 – 1945
Günter Nagel: Das geheime deutsche Uranprojekt 1939 – 1945. Beute der Alliierten, Zella-Mehlis 2016, 560 S., geb., 39,90 €, ISBN 9783943552102
Günter Nagel
Wenn es um das deutsche Uranprojekt geht, stehen zumeist Werner Heisenberg, Paul Harteck oder Otto Hahn im Mittelpunkt der Untersuchungen. Günter Nagel verschiebt in seinem neuen Buch den Fokus. Er arbeitet die Bedeutung Kurt Diebners für den „Uranverein“ heraus und analysiert die drei (möglicherweise vier) Reaktorversuche seiner Gottower Gruppe. Dabei hat Nagel bisher unbekannte Details und Fotos über die Flucht der Diebner-Gruppe nach Bayern gefunden. Er zeigt die Schwierigkeiten auf, die sich bei der Herstellung metallischen Urans ergaben, weist auf die Bedeutung der Wiener Kernforscher hin und beleuchtet den Zyklotronbau. Nagel trägt zudem bisher unbekannte Einzelheiten zum sowjetischen Nuklearbeutezug (Codename „Borodino“) zusammen. Er würdigt die Wissenschaftler aus der zweiten Reihe des „Uranvereins“ (z. B. Friedrich Berkei, Werner Czulius, Georg Hartwig, Günther Wirths und Karl Zimmer) und zeigt, dass die Zahl der Mitarbeiter am deutschen Uranprojekt „wesentlich höher“ war als bisher angenommen.
Lobenswert sind auch die tabellarischen Anhänge, die etwa die am Uranprojekt beteiligten Institute aufführen, deren finanzielle Zuwendungen und die nach Orten aufgelistete nukleare Kriegsbeute von Amerikanern und Sowjets. Das Buch enthält viele Abbildungen und Dokumente, von denen einige allerdings die Relevanz vermissen lassen.
Gelegentlich schießt der Autor über das Ziel hinaus, so etwa, wenn er das letzte Reaktorexperiment in Haigerloch als „Plagiat“ bezeichnet oder wenn er die Hohlladungsversuche Schumanns als Fusionsexperimente darstellt. Hier zeigt sich leider, dass der Autor weder Naturwissenschaftler noch Historiker ist, sondern nach eigenem Bekunden Heimatkundler.
Nagel hinterfragt auch nicht die Behauptung, im März 1945 sei es in Thüringen zu zwei „Kernwaffentests“ gekommen. Diese beruhen lediglich auf zwei mehr als zweifelhaften Berichten der sowjetischen Militäraufklärung. Der Umgang des Autors mit Quellen ist auch an anderen Stellen fragwürdig. So stützt er sich neben Wikipedia auch schon mal auf das „Neue Deutschland“ oder dubiose Quellen wie den KGB-Spitzel Pawel Sudoplatow. Zuweilen schleicht sich auch DDR-Jargon ein (Kollektiv, Kämpfer, abschöpfen).
Zu den sachlichen Fehlern des Buches zählt unter anderem die Angabe, dass das Hamburger Reaktorexperiment im Mai (und nicht August) 1940 stattfand (S. 56). Und Harteck hat zwar in Wien studiert, dort aber nicht gearbeitet (S. 60). Auch Willibald Jentschke und Friedrich Prankl haben an der Uranspaltung gearbeitet und beispielsweise die asymmetrische Verteilung der Kernbruchstücke (Kamelhöckerkurve) entdeckt (S. 61).
Die Hauptschwäche des Buches besteht allerdings darin, dass sich der Autor in zu vielen Details, Namen und Belanglosigkeiten verliert und es dann oftmals an der wissenschaftlichen Einordnung und der quellenkritischen Analyse mangelt. Alles in allem ist das Buch in erster Linie eine große Fleißarbeit. Es lässt sich nur sehr bedingt einem größeren Leserkreis empfehlen.
Dr. Michael Schaaf, Attendorn