Der Energiegipfel
André D. Thess: Der Energiegipfel – Ausweg aus dem Klimakampf, Langen Müller Verlag, München 2025, brosch., 176 S., 22 Euro, ISBN 9783784437347
André D. Thess

Wer sich aufmacht, ein kolossales Problem mit unkonventionellen Mitteln zu lösen, der durchschlägt den „Gordischen Knoten“, sagt die Legende. Der Physiker und Lehrstuhlinhaber für Energiespeicherung an der Universität Stuttgart, André Thess, wagt sich an eine der größten Herausforderungen unserer Zeit: die schier unentwirrbaren Verknotungen rund um Energiewende und Klimawandel. Zur Befriedung der konträren Standpunkte schlägt er in seinem gleichnamigen Buch einen Energiegipfel vor und spielt das Szenario durch, wie dieser ablaufen könnte.
Auf der einen Seite seines fiktiven runden Tisches sitzt die „ökologisch-soziale Fraktion“ ÖS, die auf erneuerbare Energien, staatliche Prämien, Subventionen und Verbote setzt. Ihr gegenüber nimmt die „freiheitlich-konservative Fraktion“ FK Platz, die zwar den Klimawandel nicht leugnet, aber staatliche Gängelung ablehnt und privatwirtschaftliche Initiativen bevorzugt. Ist es denkbar, dass diese Streithähne aufhören, sich zu beschimpfen und sich auf ein gemeinsames Vorgehen einigen? Physiker lieben bekanntlich Gedankenexperimente … ein solcher Gipfel wäre in der Tat friedensstiftend – wenn er denn gelänge.
Thess startet die Runde mit vielen interessanten Fakten zu acht großen staatlichen Interventionen, darunter den Atomeinstieg in den 1950er-Jahren und den Ausstieg knapp 70 Jahre später, die Unterstützung einheimischer Kohleindustrie durch erhebliche Subventionen und das nun geplante Ende der Kohleverstromung, ähnliche Entwicklungen in der Gasindustrie sowie das Erneuerbare-Energien-Gesetz und Richtlinien wie das Gebäudeenergiegesetz. In all diesen Fällen lässt Thess seine fiktiven Fraktionen ÖS und FK darüber abstimmen, ob die jeweiligen Maßnahmen die Versorgungssicherheit, Bezahlbarkeit und Umweltverträglichkeit der Energieversorgung in Deutschland verbessert oder verschlechtert haben.
Kleiner Spoiler: Der deutsche Staat hätte sich Hunderte von Milliarden Euro sparen können, wenn er einfach nichts gemacht hätte, urteilt Thess und macht sich den Spaß, dieses Fazit noch durch ChatGPT bestätigen zu lassen – wobei die Künstliche Intelligenz etwas mehr Pro-Öko argumentiert als die Kompromiss-Ergebnisse seiner fiktiven Fraktionen. Dass eine KI global verantwortungsbewusster „denkt“ als ein rein deutscher Energiegipfel, ist nicht wirklich verwunderlich, hinterlässt aber einen unschönen Beigeschmack.
Thess’ Vorschlag am Ende des Buchs ähnelt dann dem Schwert, mit dem Alexander der Große rabiat den Gordischen Knoten durchschlug: Bei der Energiepolitik gesteht der Autor dem Staat noch die Forschungsförderung sowie Kreditbürgschaften und die Übernahme extremer Haftungsrisiken zu, aber in Sachen Klimaschutz soll sich der Staat vollkommen raushalten und alles freiwilligen privaten Initiativen überlassen. Das wäre zugleich das Ende des länderübergreifenden Emissionszertifikatehandels. Ernsthaft? Wenn jede Nation sich nur um sich selbst kümmert, ist für alle gesorgt? Das kann bei geteilten Ressourcen – und dazu gehören Ozeane, die Biosphäre und die Atmosphäre der Erde – nicht funktionieren. Die „Tragik der Allmende“ ist ein Dilemma, das seit 200 Jahren bekannt sein sollte.
Dr. Ulrich Eberl,
SciPress Redaktionsbüro für Wirtschaft, Wissenschaft, Technik, Höhenkirchen-Siegertsbrunn