25.05.2021

Die 42 größten Rätsel der Physik

Ilja Bohnet: Die 42 größten Rätsel der Physik - Vom Quantenschaum bis zum Rand des ­Universums, KOSMOS ­Verlag, Stuttgart 2020, 256 S., ­brosch., 15 €, EAN: 9783440168820

Ilja Bohnet

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Die Anspielung auf „Per Anhalter durch die Galaxis“ von Douglas Adams machte mich neugierig, denn die Zahl 42 ist die Antwort auf die „ulti­mative Frage nach dem Leben, dem Universum und dem ganzen Rest“. Nach Lektüre des Sachbuchs von Ilja Bohnet, Forschungsbereichsbeauftragter in der Geschäfts­stelle der Helmholtz-Gemeinschaft in Berlin, bezweifele ich, dass Douglas­ Adams, ein großer Freund der Wissen­schaft, seinen Spaß an diesem Buch gehabt hätte. Für welche Zielgruppe ist es gemacht? Dies ist für mich das 43. Rätsel: Neben der oft künstlichen Verrätselung (etwa „Frage 12: Worin bestehen die Rätsel der heißen Plasmen“) ergibt sich eher der Eindruck eines Repetitoriums, verstärkt durch die Aufteilung der Kapitel in die Fachgebiete der Physik, wie man sie aus Uni-Vorlesungen kennt.

Einiges würde ich aufgrund wagemutiger Verkürzungen bzw. Kurzschlüsse sogar als irreführend bis falsch ansehen. Im einführenden Abschnitt „Wie entwickelt sich die Physik?“ heißt es: „Das 19. Jahrhundert zeichnet sich aus durch epochale Erkenntnisse über den Aufbau der Materie, denen die moderne Physik gewissermaßen noch heute nachgeht: (1) Sämtliche Formen der bekannten Materie bestehen aus nur 92 chemischen Elementen. (2) Wärme ist nichts anderes als die ungeordnete Bewegung dieser chemischen Elemente und ihrer Verbindungen.“ Mal abgesehen davon, dass im 19. Jahrhundert längst noch nicht alle dieser Elemente bekannt waren, wäre hier vielleicht der Bezug auf die Atom-Vorstellung (Boltzmann) und die daraus folgende statistische Thermodynamik angemessener gewesen.

Im ziemlich grob gestrickten geschichtlichen Abriss wird vieles auf eine ähnliche Art und Weise „nacherzählt“, dass man sich immer wieder am Kopf kratzt: „Es gibt kein ausgezeichnetes Bezugssystem. Damit bilden Raum und Zeit eine fundamentale Einheit.“ Ja? „Mit der Relativitätstheorie und der Quantenphysik auf dem Fundament der klassischen Physik erschließt sich im 20. Jahrhundert ein umfassendes physikalisches Weltbild, das sich vom Mikrokosmos bis zum Makrokosmos erstreckt – vom unendlich Kleinen bis zum unendlich Großen.“ Die Physik ist nicht gerade ein Freund von Unendlichkeiten, insofern ist der Nachsatz problematisch.

Außer dem Prinzip, möglichst viele Zitate von Physikerinnen und Physikern in die Texte zu streuen, kann ich kein didaktisches Konzept erkennen. Wenn auf Seite 56 in einem Absatz der Sprung von der Wilsonschen Nebelkammer zur Dekohärenz gemacht wird, dann ist das symptomatisch für das Kapitel „Worin besteht das Messproblem der Quantenmechanik“. Dort wird eine Fülle von Stichworten genannt, aber letztlich nichts erklärt. Auf fünf locker gesetzten Seiten nachvollziehbar von der klassischen Mechanik über das quantenmechanische Messproblem zur Interpretation der Quantenmechanik kommen zu wollen, halte ich für – keine Pointe beabsichtigt – vermessen.

Das Faszinierende an der Physik, mit immer genaueren Zeit- und Längenmessungen und möglichst wenig Prinzipien in immer neue Bereiche vorzustoßen, geht in diesem Buch verloren, das oft zu sehr zwischen experimentellen, theoretischen und wissenschaftsphilosophischen Aspekten irrlichtert. Es reicht nicht, den jetzigen Wissensstand  möglichst kompakt nachzuerzählen und hin und wieder Physiker:innen mit Sätzen zu zitieren wie „Das ist die sogenannte CP-Verletzung der schwachen Wechselwirkung. Sie wird durch die Cabibbo-Kobayashi-Maskawa-Matrix beschrieben, auch Quark-Mischungsmatrix oder CKM-Matrix genannt.“ Gerade bei solchen Zitaten stellt sich der Eindruck eines Repetitoriums ein, nicht aber der einer populärwissenschaftliche Einführung.

Für Lesende mit Vorkenntnissen ist die Darstellung zu kurzatmig, für Laien dürfte vieles unverständlich bleiben, zumal instruktive Abbildungen und ein Glossar fehlen. Die Zitate der vielen befragten Physiker:innen erklären oft wenig, sondern wirken eingestreut.

Die künstliche Kleinteiligkeit der „42 größten Rätsel“ spannt keinen didaktischen roten Faden und verschleiert, welche erstaunlichen Erkenntnisse die Physik mit einfachen Prinzipien und letztlich mit immer genaueren Zeit- und Längenmessungen geliefert hat. Erst wenn man das nachvollziehbar erklärt, lassen sich ultimative Fragen angehen.

Alexander Pawlak


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