Die Entlassung - Robert Havemann und die Akademie der Wissenschaften 1965/66
S. Müller und B. Florath (Hrsg.), Die Entlassung - Robert Havemann und die Akademie der Wissenschaften 1965/66, Robert-Havemann-Gesellschaft e. V., Berlin 1996. 455 S., brosch., ISBN 398049201X
Müller, Florath
Aus der Berliner Akademie ausgeschlossen wurde zu DDR-Zeiten außer dem Philosophen Ernst Bloch auch der Physikochemiker Robert Havemann (1910-1982). Schon dreimal zuvor war Havemann, ebenfalls aus politischen Gründen, entlassen worden: 1933 und 1950 aus dem Kaiser-Wilhelm-Institut für Physikalische und Elektrochemie in Berlin-Dahlem und 1964 als Ordinarius und Direktor des Physikalisch-Chemischen Instituts der Humboldt-Universität Berlin, an der er 1946 linientreuer Professor wurde. Unter dem Eindruck der 1956 durch Chruschtschow offengelegten Verbrechen Stalins begann Havemanns Wandlung, wurde aus dem Stalinisten ein Antistalinist. „Ja, ich hatte unrecht“, bekannte er öffentlich.
Den Bruch mit der SED zeichnet detailliert der einführende Beitrag von B. Florath nach. Aufsehen erregte Havemanns Vorlesungsreihe „Naturwissenschaftliche Aspekte philosophischer Probleme“, in der er die Bevormundung der Naturwissenschaftler durch marxistische Dogmatiker kritisierte und damit stellvertretend an machtpolitische Grundfesten des SED-Regimes rührte. Die Folge waren 1964 fristlose Entlassung und Parteiausschluß.
Havemann durfte zunächst als nunmehr hauptamtlicher Leiter der Arbeitsstelle für Photochemie der Berliner Akademie, der er als Korrespondierendes Mitglied angehörte, weiter wissenschaftlich arbeiten. Seine erneuten öffentlichen politischen Äußerungen, fortan in der westdeutschen Presse, waren für die SED-Führung Ende 1965 Anlaß, Berufsverbot zu verfügen. Wie dieser Willkürakt vollzogen und Havemann 1966 statutenwidrig aus der Mitgliederliste der Akademie gestrichen wurde, beschreibt der Beitrag von S. Müller, bevor die Winkelzüge zu Entlassung und Ausschluß anhand von mehr als 150 Dokumenten verfolgt werden. Hilfreich ist deren gruppenweise Kommentierung, ebenfalls der "kleine Behördenführer" sowie das informative Personenregister.
Aktenkundig ist, daß die Entscheidung für Havemanns Akademieausschluß auf höchster Ebene, im SED-Politbüro, fiel, daß das Vorgehen, sogar der Zeitplan vom ZK-Apparat vorgegeben und vom Akademiepräsidium willfährig befolgt wurde. Daran änderten auch nichts die Bedenken, die einzelne Akademiemitglieder (G. Hertz, M. Steenbeck u. a.) wiederholt vorbrachten.
Den Herausgebern ist eine aussagekräftige Dokumentation über Havemanns Akademieausschluß zu danken. Wissenschaftshistoriker und an der Erhellung totalitärer Machtmechanismen Interessierte werden zu ihr mit Gewinn greifen.
H. Rotter, Dresden
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