19.02.2013

Die Nacht der Physiker. Heisenberg, Hahn, Weizsäcker und die deutsche Bombe

Richard von Schirach: Die Nacht der Physiker. Heisenberg, Hahn, Weizsäcker und die deutsche Bombe, Berenberg, Berlin 2012, geb., 272 S., 25 Euro, ISBN 9783937834542

Richard von Schirach

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In unregelmäßigen Abständen schwappt die mediale Erregungswelle auch an die Gestade der Wissenschaftsgeschichte, vor allem wenn es sich um die vermeintliche deutsche Atombombe im Zweiten Weltkrieg handelt. Im vorliegenden Buch versucht der Autor, die (fehlenden) Diskussionen um Moral und Schuld der 1945 in England internierten deutschen Kernforscher in den Fokus zu stellen. Er verwebt die unterschiedlichen Zeitebenen (vom Gaskrieg bis zum Atomzeitalter), Orte (von Haigerloch bis Los Alamos) und Personen (von Haber bis Harteck) zu einem gut lesbaren Netz aus Geschichte und Geschichten. Dabei gelingt ihm auch in Details nicht nur eine treffende Darstellung und Bewertung der Ereignisse (so etwa bei der allgemein überschätzten Bedeutung von Einsteins Brief an Roosevelt oder bei Heisenbergs Eintreten für die verfolgten Eltern von Goudsmit), sondern auch eine stringente Einbettung in den fachhistorischen Kontext. Schirach geht es weder um Exkulpation noch um billige Verurteilung, sondern um die differenzierte Analyse der verschiedenen Charaktere und ihrer Motivationen.

Leider merkt man an einigen Fehlern, dass der Autor Sinologe und kein Wissenschaftshistoriker oder Physiker ist: Nicht Weizsäcker hatte 1932 die Idee, dass Atomkerne aus Protonen und Neutronen bestehen müssen, sondern Heisenberg (S. 14). Hahn hatte weder eine Professur an der TH Berlin inne, noch trat er davon 1938 zurück und schon gar nicht aus Protest gegen die erzwungene Flucht Lise Meitners (S. 56). Beim Franck-Hertz-Versuch werden Atome und nicht Atomkerne mit Elektronen beschossen (S. 151). Als die Farm-Hall-Protokolle 1993 veröffentlicht wurden, lebten neben Bagge und Weizsäcker auch Korsching und Wirtz noch (S. 247). Dennoch stören diese übersehbaren Fehler den Lesegenuß nicht. Ärgerlicher ist da schon Schirachs mehr als lässiger Umgang mit Quellen, öfters fehlen Nachweise für Zitate, und an einigen Stellen schrammt der Autor haarscharf an einem Plagiat vorbei, wenn er z. B. bemerkt „Damit war Heisenberg, […] in der Kernphysik angekommen.” und verschweigt, dass dieser Satz aus einem Interview Weizsäckers mit Konrad Lindner stammt, wo es heißt „Damit war Heisenberg in der Kernphysik drin.“

Leider bleibt die Reise Heisenbergs zu Bohr nach Kopenhagen im Herbst 1941 ausgespart, ebenso wie eine Erwähnung der russischen Forschungen zur Bombe während des Krieges.

Man erfährt bei Schirach nichts, was man nicht schon vorher wusste. Und so markieren weiterhin die Veröffentlichungen von David Irving, Mark Walker, Dieter Hoffmann, Michael Frayn und Rainer Karlsch die Höchststände der Pegelmarken des wissenschaftshistorischen Erkenntnis-Tidenhubs zum Thema Kernforschung im Dritten Reich. Schirachs Buch wird weder einen neuen Fachdiskurs lostreten noch eine neue Marke am Wissenspegelstand setzen.

Dr. Michael Schaaf, Deutsche Internationale Schule Johannesburg

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