Die Wissenschaft von Mittelerde
Roland Lehoucq, Loïc Mangin, Jean-Sebastien Steyer: Die Wissenschaft von Mittelerde, wbg Theiss, Darmstadt, 2022, 384 S., 50 Euro (Einführungspreis), ISBN 9783806245141
Roland Lehoucq, Loïc Mangin, Jean-Sebastien Steyer
Mit Mittelerde hat J. R. R. Tolkien ein Fantasy-Universum erschaffen, das weltweit Fans gefunden hat. Neben fantastischen Wesen und imaginären Reichen hat Tolkien eigene Sprachen und Schriftzeichen erdacht. Das vorliegende Buch versucht nun, der Welt von Mittelerde umfassend auf den Grund zu gehen. Dabei nimmt es nicht nur seine beiden bekanntesten Werke „Der Hobbit“ und „Der Herr der Ringe“ in den Blick, sondern auch andere Bücher zur Vorgeschichte des „Herrn der Ringe“.
In dem aufwändig gestalteten, kiloschweren Prachtband geht es um soziologische Aspekte von Tolkiens Fantasiewelt, die Evolution von Sprache und das Zusammenleben verschiedener Wesen und Arten, um Geschichte und Linguistik, die Formation der unterschiedlichen Landschaften und damit zusammenhängend um die Frage von Niederschlag und Klima in Mittelerde. Das Autorenteam analysiert aber auch Pflanzen, Edelsteine und das Material des „einen Rings“, die übergroßen Füße der Hobbits, die Metamorphose Gollums oder Tolkiens großes Bestiarium, zu dem Olifanten, Warge oder geflügelte Feuerdrachen gehören.
Auf den ersten Blick ist dieses Buch eine reine Augenweide: Im Innendeckel findet sich die erste großformatige Karte Mittelerdes mitsamt der Routen von Bilbo aus „Der Hobbit“ und von Frodo auf dem Weg zum Schicksalsberg. Später folgen weitere Karten, einige Grafiken und auch wunderschöne Zeichnungen. Eines sei vorweg gesagt: Dieses Buch richtet sich nicht an diejenigen, die irgendwann einmal die Filme von Peter Jackson gesehen haben, sondern an die echten Tolkien-Fans, die dessen Werke – auch die schwierig zu lesenden – verschlungen haben und dabei vollständig in diese fremde Welt eingetaucht sind. Darüber hinaus ist ein breites Interesse an allen möglichen Wissenschaften erforderlich. Denn die Naturwissenschaften kommen hier eher kurz, und physikalisch wird es eigentlich nur bei der Erwähnung von Metamaterialien oder der möglichen radioaktiven Wirkung „des einen Rings“.
Die Lektüre des Buches ist anregend, allerdings auch recht anspruchsvoll, wie die folgende Formulierung belegt: „Die Abfolge der Formen präsentiert sich als das changierende Bild eines Urmodells, welches in seinen ikonischen oder diskursiven Doppelgängern weiterlebt.“
Bei einigen Themen hatte ich das Gefühl, dass man krampfhaft bemüht war, ein wissenschaftliches Fundament zu finden oder allzu unrealistische Randbedingungen, um Dinge erklären zu können. So soll „der eine Ring“ aus einer instabilen Legierung radioaktiver Isotope bestehen und dem Träger beim Kontakt Energie entziehen und dabei hochbeschleunigte Teilchen aussenden, die durch einen nicht genannten Effekt Unsichtbarkeit erzeugen. Der Ringträger wird hierbei mit neuroaktiven Nanopartikeln infiziert, die sein Verhalten und seinen Stoffwechsel für immer verändern. Das geht mir dann doch zu weit.
Ich bezeichne mich durchaus als Fan von Tolkiens Werken, aber derart gründlich muss ich seine Bücher nicht auseinander analysiert haben, sondern möchte mich einfach auf seine fantastische Welt einlassen, die eben nicht immer mit dem menschlichen Verstand erklärbar ist.
Maike Pfalz