21.02.2005

­Einsteins Uhren, Poincarés Karten

Galison

Einsteins Uhren, Poincarés Karten - Die Arbeit an der Ordnung der Zeit

Man kann sich heute nur noch schwer vorstellen, wie sehr sich die industrialisierte Welt im Laufe des 19. Jahrhunderts verändert hat. Um 1800 hatte noch niemand einen Zusammenhang zwischen Elektrizität und Magnetismus erkannt und auch das Licht wurde nicht mit diesen beiden Phänomenen in Verbindung gebracht. Die Gesetze der Mechanik und die Fernwirkung beherrschten die Physik. Die Maßeinheiten für Länge und Zeit waren noch nicht vereinheitlicht. Zwar veränderte die Dampfmaschine der ersten industriellen Revolution tief greifend Lebensrhythmen und Landschaft, vor allem in den Städten, doch die Welt war noch nicht vom engmaschigen Netz der technischen Systeme überzogen.


 

Doch im Jahr 1900 hatte sich die Welt dramatisch verändert, wie es in "Einsteins Uhren, Poincarés Karten" lebhaft und überzeugend dargestellt wird. Das britische Telegraphensystem überspannte den Globus und bildete einen wesentlichen Machtpfeiler des britischen Weltreichs. Der Drang, neue Räume zu erschließen, etwa mit dem wachsenden Eisenbahnnetz, war ein deutlicher Ausdruck des industriellen Aufschwungs. Die Entwicklung der elektromagnetischen Feldtheorie Maxwells war somit auch durch die hohen Ansprüche einer weltumspannenden Telegraphie geprägt. Webers Theorie der elektromagnetischen Fernwirkung landete dabei auf dem Schutthaufen der Geschichte. Maxwell erkannte schließlich die Verbindung zwischen der Theorie des Elektromagnetismus mit der des Lichts. Die Vision einer einheitlichen Theorie erhielt damit starken Auftrieb und wurde gewissermaßen zum ¿heiligen Gral¿ der Physik. Konstanten wie die Lichtgeschwindigkeit c und Maßeinheiten wie Ohm, Ampere, Kilogramm und Meter erhielten nun den Rang wichtiger Bausteine des Universums. Schließlich erkannte man, dass Präzisionsmessungen, Metrologie und Standardisierung unverzichtbar sind für Physik und Technologie.


 

Vor allem die Metrologie bildet den Hintergrund für Peter Galisons inhaltsreiches und anspruchsvolles Buch. Es ist reich bebildert und unterteilt in sechs Kapitel, deren Titel bereits einen guten Eindruck vom Inhalt vermitteln: ¿Gleichzeitigkeit¿, ¿Kohlen, Chaos & Konventionen¿, ¿Die telegraphische Weltkarte¿, ¿Poincarés Karten¿, ¿Einsteins Uhren¿ und schließlich ¿Der Ort der Zeit¿. Zahlreiche Erklärungen komplizierter technischer Begriffe erleichtern dem Laien den Einstieg in die oft sehr fremde Welt der Physik, Technologie und Philosophie um 1900. Es ist der große Gewinn in Galisons Untersuchung, dass er diese drei Entwicklungsstränge zusammen betrachtet und so der philosophischen Diskussion einen belebenden Anstoß gibt. Mit diesem Ansatz behandelt er das zentrale Problem in seinem Buch, das der Gleichzeitigkeit ("Gleichzeitigkeit ist eine Konvention, nichts anders als die Koordination von Uhren mit Hilfe des Austauschs elektromagnetischer Signale unter Berücksichtigung ihre Übertragungszeit.", S. 320).


 

Dabei ist es sehr anregend, etwas über die Geschichte der Speziellen Relativitätstheorie inmitten telegrafischer Systeme und Expeditionen zur Erdvermessung zu erfahren. Erst damit lassen sich die beeindruckenden Errungenschaften des 2Wissenschaftler-Ingenieurs" (Poincaré) nachvollziehen. Und schließlich ermöglicht es die von Einstein angestoßene Revolution in der Philosophie von neuem, die Begegnung des Kantianismus mit der Welt der Telegraphisten und Uhrmacher zu behandeln.

Dr. Skúli Sigurdsson, Max-Planck-Institut für Wissenschaftsgeschichte, Berlin


Weitere Infos:

  • P. Galison: ­Einsteins Uhren, Poincarés Karten - Die Arbeit an der Ordnung der Zeit
    S. Fischer, Frankfurt 2003, geb., 382 S.,
    ISBN 3-100-24430-3

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    Peter Galison
    Einsteins Uhren, Poincares Karten
    Fischer (S.), Frankfurt


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