Hitlers Atombombe
Mark Walker: Hitlers Atombombe. Geschichte, Legende und das Erbe von Nationalsozialismus und Hiroshima, Wallstein, Göttingen 2025, geb., 476 S., 39 Euro
ISBN 9783835357891

„Hitlers Atombombe bleibt ein kontroverses Thema, weil sie ein Gespenst ist, das nicht ein für alle Mal zu Grabe getragen werden kann“, schreibt der amerikanische Wissenschaftshistoriker Mark Walker in seinem neuen Buch. Er muss es wissen, denn er befasst sich schon seit über 35 Jahren mit dem Thema. Seine Dissertation erschien 1990 unter dem Titel „Die Uranmaschine. Mythos und Wirklichkeit der deutschen Atombombe“.
Walkers neues Werk ist aber keine aktualisierte Neuausgabe und schon gar keine Gespenster-Beschwörung, sondern eine „im Wesentlichen neue historische Darstellung“, die weitere Quellen erschließt, nicht zuletzt die Farm-Hall-Protokolle (vgl. Physik Journal, April 2023, S. 51) und auch neue Perspektiven einnimmt. Denn die Geschichte der nie gebauten deutschen Atombombe erweist sich auch als Lehrstück über das Verhalten der Protagonisten und der Physik-Community im Nationalsozialismus.
Wenn man sich tiefergehend für die Taten wie Resultate der Forscher des „Uranvereins“ und deren Analyse interessiert, kommt man an Walkers Buch nicht vorbei, unabhängig davon, welche Perspektive man selbst einnimmt.
Besonders hilfreich – nicht zuletzt für alle, die nicht so tief im Thema stecken – ist sein erstes Kapitel, in dem er fundiert und kompakt in die Geschichtsschreibung von „Hitlers Atombombe“ seit Ende des Zweiten Weltkriegs bis heute einführt. Dies bildet das Fundament für die weiteren Diskussionen im Buch, die sich im ersten Teil um die Entstehung und Entwicklung des deutschen Atom-Projekts von der Entdeckung der Kernspaltung bis zum Kriegsende dreht. Ausgangspunkt bilden die Gespräche der im englischen Farm Hall internierten deutschen Wissenschaftler um Werner Heisenberg und Otto Hahn.
Walker seziert und verwirft viele populäre Positionen zur Frage, wieso die deutsche Atombombe nicht gebaut wurde oder was Heisenberg mit Niels Bohr im September 1941 in Kopenhagen besprechen wollte. Das Anfangszitat macht klar, dass Walker nicht den Anspruch hat, einen Schlussstein zu setzen, doch er untermauert seine eigenen Positionen überzeugend anhand der verfügbaren Primär- wie Sekundärquellen.
Im zweiten Teil „Mit der Bombe leben“ analysiert Walker insbesondere die Kompromisse, welche die Physiker im Nationalsozialismus eingegangen sind und nimmt übermäßige Vereinfachungen unter die Lupe. Hier klaffen die Erinnerungen der Beteiligten und heutige, nicht immer schmeichelhafte Perspektiven oft sehr auseinander.
Neben der Frage nach der deutschen Atombombe und der Vergangenheitsbewältigung analysiert Walker auch die sich wandelnde Rolle der Geschichtsschreibung und wirft dabei einen Blick auf sich selbst. Für ihn war es eine eher unangenehme Erfahrung, sich als Historiker unvermittelt in der Rolle des Zeitzeugen zu finden. In die war er durch die Korrespondenz mit Carl Friedrich von Weizsäcker geraten, die von vielen als Quellenmaterial angesehen wurde. Dies ist sicher ein Grund dafür, dass Walker einen noch kritischeren Blick auf die verfügbaren Quellen wirft und für seine Argumentationen bevorzugt auf zeitgenössische Dokumente zurückgreift. Dabei argumentiert er gegen ein Schwarz-Weiß-Denken und für eine Sichtweise, die viele Grauschattierungen zulässt. Das ist eine große Stärke seines Buches, das eine aufschlussreiche, oft spannende, aber auch nachdenklich machende Lektüre bietet.1)
Alexander Pawlak
1) Weiterführende Hinweise finden sich auf https://pro-physik.de/nachrichten/hitlers-atombombe.