27.06.2005

Isaac Newton - Die Geburt des modernen Denkens

Gleick

Isaac Newton

Die vorliegende Newton-Biografie stammt vom amerikanischen Wissenschaftsjournalisten James Gleick, der u.a. durch eine Geschichte der Chaostheorie und eine "Genius" betitelte Biografie des Physikers Richard Feynman bekannt geworden ist. Die Zahl der in deutscher Sprache verfügbaren Newton-Biografien vergleichbaren Umfangs erhöht sich damit auf mindestens vier.

Gleicks Newton-Biografie weist 15 Kapitel auf, deren Titel weniger über den zu erwartenden Inhalt informieren als das Interesse des Lesers wecken sollen. So befasst sich Kapitel 8 "Inmitten eines Wirbelwinds2 mit den gegensätzlichen Auffassungen von Newton und Hooke über die Natur des Lichts, die Rolle eines hypothetischen Äthers, nicht aber, wie man annehmen könnte, mit Newtons Kritik der Wirbeltheorie Descartes'.

Der gesamte Text einschließlich der 449 kapitelweise gezählten Anmerkungen enthält mit drei trivialen Ausnahmen (z. B. auf S. 76, wo sich eine als Kubikgleichung bezeichnete kubische Gleichung findet) keine mathematische Formel oder geometrische Darstellung - in einer Biografie eines der beiden Schöpfer des Infinitesimalkalküls und des Begründers der modernen Mechanik und Himmelsmechanik! Für die Mathematik betreffende Texte wie in Kapitel 3 standen dem Autor kaum Sachkenntnis, wohl aber eine unüberbietbare Begeisterung für das von Newton Geleistete zur Verfügung.

Für Gleick beginnt und, man könnte fast sagen, endet die moderne Naturwissenschaft mit Newton. Zwar gab es auch für Gleick Vorläufer von Newton. Was allerdings etwa von Copernicus, Kepler und Galilei erreicht worden war, ist verglichen mit Newton kaum der Gleickschen Rede wert. Keplers Leistung besteht z.B. für Gleick darin, "in einem

wachsenden Dickicht von Daten ... nach mehr

Ordnung" gestrebt, die Planetenbahnen als

Ellipsen "vermutet" und den so genannten Flächensatz "behauptet" zu haben (S. 56). Gleick erwähnt das für die Entstehung der Principia fundamentale dritte Keplersche

Gesetz nicht.

Selbst Einstein kann bei Gleick das Newtonsche Weltsystem nicht durch ein Neues ersetzen; Einstein hat das Newtonsche System lediglich "untermauert und erweitert" (S. 14). Ihm war es vorbehalten, zur Unterstützung der Newtonschen Korpuskulartheorie des Lichts zu zeigen, "dass Licht doch in Quanten kommt" (S. 174). Während also nach Gleick die gesamte moderne Physik einschließlich Quantenmechanik und Relativitätstheorie durch Newton begründet, vorweggenommen oder zumindest vorgeahnt wird, fehlt seiner Darstellung die Idee des inneren Zusammenhangs zwischen den verschiedenen Forschungsaktivitäten Newtons von der Mathematik, Optik und Mechanik bis zur Alchimie (nicht Alchemie!) und Theologie ebenso wie zumindest angedeutete Erklärungen dafür, wie Newton zu den ihm zugeschriebenen Erkenntnissen kam.

Wem kann man das im Übrigen gut ausgestattete, aber offenbar schnell und z. T. schlecht übersetzte Buch empfehlen? Seriöse Newton-Interessenten sind mit den bereits vorhandenen deutschsprachigen Newton-Bio­grafien wesentlich besser bedient. Für Leser, die sich für die äußeren Lebensumstände von Newton, nicht aber für ein zumindest ansatzweises Verständnis seiner Denk- und Arbeitsweise interessieren, sonst aber gerne in einem See vager Andeutungen über Gott und die Welt und Newton schwimmen, mag das Buch seinen Reiz haben.


Prof. Dr. Ivo Schneider, Universität der Bundeswehr München

Weitere Infos:

J. Gleick, Isaac Newton - Die Geburt des modernen Denkens
Artemis & Winkler Verlag, Düsseldorf/Zürich 2004, 260 S., Geb.,
ISBN 3538071861





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