20.10.2005

Lokale Symmetrien und Wirklichkeit

Lyre

Das vorliegende Buch behandelt zwei Themen, die den gesamten Text durchziehen: die Symmetrien physikalischer Theorien und die von diesen Theorien erfasste Realität. Das Buch wendet sich gleichermaßen an Physiker und an Philosophen. Den mit Symmetrien vertrauten Physikern wird gezeigt, welche begrifflichen Probleme auftreten, wenn man versucht diejenigen Entitäten anzugeben, auf die sich die Theorien der Physik beziehen. Die mit allen Varianten des Realismus vertrauten Philosophen werden anderseits sehen können, welche konkreten Fallbeispiele die Physik, und hier insbesondere die Eichtheorien, liefern, an denen die verschiedenen Formen des Realismus exemplifiziert werden können.

Das einführende Kapitel 1 informiert über Symmetrien und Strukturen, gibt eine minimale Bedingung physikalischer Realität an und erklärt ausführlich den Begriff des Strukturenrealismus. Hier werden die für alles weitere wichtigen wissenschaftstheoretischen und naturphilosophischen Probleme formuliert. Die folgenden Kapitel 2 und 3 behandeln das Eichproblem, zunächst an den klassischen Feldtheorien, dann in der Quantenmechanik und schließlich in der Allgemeinen Relativitätstheorie. Hier werden ausführlich die Eichtheorie der Gravitation sowie der quantenmechanische Aharonov-Bohm-Effekt besprochen, dessen Interpretation offenbar immer noch kontrovers diskutiert wird.

Nach dieser fundierten physikalischen Darstellung widmen sich die Kapitel 4 und 5 der philosophischen Deutung. In der Vielfalt wissenschaftstheoretischer Positionen ist die Stellung des Autors klar umrissen. Zwischen Realismus und Antirealismus nimmt er die Position des Strukturenrealismus ein. Nach dieser Deutung ermöglichen die physikalischen Theorien lediglich die Erkenntnis von formalen Strukturen, etwa von Symmetrie­gruppen, nicht aber von gegenständlichen Entitäten. Ob dieser Strukturenrealismus epistemisch oder ontisch zu verstehen ist, ist dabei offen. Das ist eine für Physiker nicht neue, vertretbare Position, da eine konventionelle Gegenstands-Ontologie der gegenwärtigen Physik nicht mehr gerecht werden kann. Die für den Autor besonders wichtige Frage, inwiefern sich dieser wissenschaftstheoretisch verstandene Strukturenrealismus auch naturphilosophisch stützen lässt, wird in Kapitel 5 ausführlich besprochen.
Das Buch ist sehr lesenswert und inhaltsreich. Die behandelten Beispiele sind allen Bereichen der Physik entnommen und die angebotenen Interpretationen umfassen ein breites Spektrum der modernen Wissenschaftstheorie und Naturphilosophie. Der Wert des Buches liegt in der Fülle des keineswegs allgemein bekannten Materials und in dessen geistiger Durchdringung im Sinne eines Strukturenrealismus.


Prof. Dr. Peter Mittelstaedt, Erftstadt

Weitere Infos:
H. Lyre: Lokale Symmetrien und Wirklichkeit
mentis Verlag,
Paderborn 2004.
236 S., kart.,
ISBN 3-89785-247-0

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