25.03.2009

Lust am Forschen

Thirring, W.

Beim Namen Thirring denken die meisten von uns entweder an die vier Bände seines „Lehrbuchs der Mathematischen Physik“ oder an den Lense-Thirring-Effekt, der vor kurzem mit erheblichem finanziellen Aufwand von der NASA bestätigt wurde. Die Lehrbücher gingen aus Vorlesungen von Walter Thirring hervor, der Lense-Thirring-Effekt geht auf seinen Vater Hans zurück, beide lehrten an der Universität Wien. Manche – wie auch ich – kennen Walter Thirring auch als rasanten Skifahrer oder kompetenten Pianisten.
Nun liegt die Autobiografie von Walter Thirring vor, die ich als mathematische Physikerin mit großem Interesse gelesen habe. Die beigelegte CD ist der Mitschnitt eines Kammermusikabends mit Kompositionen des Autors, der zu Ehren seines 80. Geburtstags im Frühjahr 2007 stattfand.
Walter Thirring gewährt uns einen Einblick in seine Familie und in sein überreiches Leben mit kleinen Anekdoten und kurzen Charakterisierungen der Menschen, denen er begegnete. Widrigkeiten werden mit viel Humor geschildert. Wir lesen von der „verlorenen“ Jugend von Walter in der Nazi- und Kriegszeit. Sein Vater verlor zwischen 1938 bis zum Kriegsende seine Professur. Sein älterer Bruder ahnte, dass er nicht aus dem Krieg heimkehren würde, und trug Walter auf, statt seiner eine naturwissenschaftliche Karriere zu verfolgen. So beginnt Walter im Herbst 1945 sein Physikstudium in Innsbruck und schließt 1949 in Wien mit dem Doktorat ab.
Seine zehnjährigen Lehr- und Wanderjahre führen ihn nach Dublin, Glasgow, Göttingen, Zürich, Princeton, ans MIT und nach Seattle und immer wieder Bern, wo er ein Extraordinariat erhält. Er erzählt von seinen Begegnungen mit Schrödinger, Heisenberg, Pauli, Oppenheimer, Einstein, von Neumann und vielen anderen mehr. 1959 folgt er seinem Vater als Ordinarius und Vorstand des Instituts für theoretische Physik in Wien nach.
Seine administrativen Fähigkeiten muss er sofort unter Beweis stellen, um das Institut von Grund auf zu modernisieren und zu erweitern. Es fehlt an allem, vom Toilettenpapier bis zu Vorlesungen über Quantenmechanik. Auch mit dem Proporzsystem in Österreich muss er lernen umzugehen und als Mitglied des Direktorats des CERN (1968 – 1972) darüber hinaus mit sämtlichen nationalen Egoismen.
Schon früh knüpft Walter Thirring über den eisernen Vorhang hinweg wissenschaftliche Kontakte mit Prag und Budapest. 1993 wird dann in Wien das ESI (International Erwin Schrödinger Institute for Mathematical Physics) eröffnet, das insbesondere den Kollegen aus dem früheren Ostblock Forschungsaufenthalte ermöglichen soll.
Das Hauptanliegen des Buches ist natürlich „die Lust am Forschen“. Mit viel Energie widmet sich Thirring den großen Themen und Problemen, über die er geforscht hat, angefangen mit der Speziellen Relativitätstheorie als Student. Weiter geht es mit QED, QFT, Allgemeiner Relativitätstheorie, Thirring-Modell, Stabilität der Materie, Entropie für Quantensysteme. Eingestreut und op-tisch hervorgehoben gibt es kleine Exkurse, in denen Begriffsbildungen, Gedankengänge und Theorien, wie sie gerade im Text vorkommen, dem interessierten Laien nahegebracht werden sollen.
Prof. Dr. Evelyn Weimar-Woods, Institut für Mathematik und Informatik, Freie Universität Berlin

W. Thirring: Lust am Forschen.
Lebensweg und Begegnungen
Seifert Verlag, Wien 2008, 200 S., geb.
ISBN 9783902406583

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