26.01.2017

Making Sense of Quantum Mechanics

J. Bricmont: Making Sense of Quantum Mechanics, Springer Switzerland, Cham 2016, geb., 331 S., 51,44 €, ISBN 9783319258874

Jean Bricmont

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Jean Bricmonts Buch ist ein Plädoyer für die de-Broglie-Bohm-Theorie (dBB). Demnach ist der Standard-Formalismus der Quantenmechanik bloß ein nützliches mathematisches Instrument für die Prognose von Messresultaten, während die dBB die dahinterliegende Realität beschreibt, die solche Messwerte produziert. Sie mache die Nichtlokalität der Natur explizit, wodurch die experimentell bestätigte Verletzung von Bellschen Ungleichungen erklärt werde.

Das zentrale Argument betrifft entsprechend das richtige Verständnis von Bells Resultat (Kapitel 4). Da die Quantenmechanik die Verletzung von Bell-Ungleichungen vorhersagt, könnte man denken, dass sie eine vollständige Theorie ist, also Bohr gegen Einstein gewonnen hätte. Bell zeigte aber tatsächlich, dass die Realität in jedem Falle nichtlokal ist, unabhängig davon, ob die Quantenmechanik vollständig ist oder nicht. Viele Physiker glauben laut Bricmont, die Lokalität ließe sich retten. Doch dies beruhe darauf, das Verbot von Überlichtgeschwindigkeit fälschlich mit der Ablehnung von kausaler Fernwirkung gleichzusetzen. Stattdessen folge nur, dass die experimentelle Situation nicht dazu dienen kann, Informationen auszutauschen. Irgendeine Form von Fernwirkung finde jedoch statt, sodass die Nichtlokalität der dBB kein Mangel, sondern ein Vorteil sei (Abschnitt 7.5).

Als Lehrbuch zur (Philosophie der) Bohmschen Mechanik ist diese Monographie bestens geeignet. Sie lehrt die Mathematik der dBB und ihre Art, die Phänomene zu erklären, auf beeindruckend klare Weise. Bemerkenswert ist das reichhaltige historische Material zum (Miss-)Verständnis der Quantenmechanik, wodurch die dBB ins rechte Licht rückt. Die Diskussion um Bell und die Folgen ist zweifellos brillant.

Für fortgeschrittene Leser ist das Buch jedoch enttäuschend. Denn in der Diskussion wird der nichtlokale Charakter der Welt meist gar nicht bestritten, aber dafür die spezifische Weise, in der diese Nichtlokalität in der Bohmschen Mechanik erscheint, nämlich indem jedes einzelne Teilchen von allen anderen abhängt. Doch wie geschieht dies eigentlich? Um zu vermeiden, dem abstrakten Konfigurationsraum irgendeine bizarre Realität zuzusprechen, plädiert Bricmont für eine „nomologische“ Deutung der Wellenfunktion, leider ohne dies zu erläutern (S. 180).

Fortgeschrittene Leser würden ferner einwenden, dass etwa die Quantenfeldtheorie ebenfalls nichtlokale Züge hat, dies aber auf lorentzinvariante Weise. Die dBB dagegen zeichnet offenbar das Bezugssystem aus, in dem die nichtlokal verknüpften Teilchen gleichzeitig sind. Gegen diesen Einwand verweist Bricmont auf dBB-Modelle von Feldern, die Resultate der Quantenfeldtheorie reproduzieren (S. 181), und behauptet, dass eine wirklich überzeugende speziell-relativistische Quantentheorie noch gar nicht vorliege. Die Vereinbarkeit von Nichtlokalität und Relativitätstheorie bleibe daher ein offenes Problem für alle Seiten. In dieser Hinsicht seien die Standard-Quantenphysik und ihre Bohmsche Alternative tatsächlich gleich gut bzw. schlecht (S. 172).

Das Problem mit diesen Behauptungen ist, dass man alleine gelassen wird mit bloßen Verweisen auf Arbeiten von Dürr, Goldstein und anderen. Die beklagte „non-reception of de Broglie’s and Bohm’s ideas“ (Abschnitt 7.6) impliziert doch, dass es keine offene Debatte zu diesem Thema gibt, die vorgeblichen Resultate also außerhalb der Bohm-Community nicht überprüft sind. Daher wäre es die Aufgabe des Autors gewesen, eine solche kritische Diskussion wenigstens anzudeuten.

Priv.-Doz. Dr. Cord Friebe, Institut für Philosophie, Universität Bonn

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