Mathematik für Physiker
Kerner, v. Wahl
Mathematik für Physiker
Angesichts der Fülle an mathematischer Fachliteratur für das Grundstudium wird sich so mancher fragen, wozu es denn eines weiteren solchen Lehrbuchs bedarf. Vor allem stellt sich diese Frage, da die meisten Studenten der Mathematik und Physik ja doch immer wieder auf die bewährte Anfängerliteratur wie z. B. den "Forster" oder "Heuser" in der Analysis, die Lineare Algebra von Fischer oder die Bücher von Jänich zurückgreifen.
Das vorliegende Lehrbuch unterscheidet sich jedoch in einem wesentlichen Aspekt von den genannten Werken und sonstiger mir bekannter Literatur zum mathematischen Grundstudium: Der gesamte Mathematik-Stoff bis zum Vordiplom, wie ihn Physiker benötigen, ist auf knapp 550 Seiten in einem und nicht mehreren Büchern untergebracht, und das ohne Abstriche an die mathematische Strenge oder Vollständigkeit. Daneben enthält das Buch zahlreiche Beispiele mit Relevanz für die Physik sowie Übungsaufgaben mit Lösungen. Dies gelingt den Autoren natürlich nur durch eine, wie sie selbst im Vorwort schreiben, "zügige Darstellung", die für so manchen Erstsemester-Studenten vielleicht etwas schwer zu verdauen ist, die aber sicher jeder zu schätzen weiß, der sich auf Prüfungen vorbereiten muss und dazu kein Lehrbuch mit überflüssigem epischen Ballast durchackern kann. Aufgrund einer Darstellung, die sich auf das Wesentliche beschränkt, und den gut ausgewählten Beispielen aus der Physik dürfte das Buch von Kerner und von Wahl auch für Dozenten interessant sein.
Nun zum Inhalt, der auf 15 + 1 Kapitel verteilt ist (das letzte enthält die Lösungen der Übungsaufgaben). Im ersten Drittel wird die Differential- und Integralrechnung einer reellen Veränderlichen erläutert. Dazu werden in je einem Kapitel die Themen Folgen und Reihen, Stetigkeit, differenzierbare Funktionen, Potenzreihen, Integration (im Riemannschen Sinne) sowie analytische Funktionen behandelt. Auf die Grundlagen wie Mengenlehre und Aufbau der Zahlbereiche gehen die Autoren zwar nur rudimentär ein, dafür kommen sie aber auch recht schnell zu den für die Anwendungen bedeutsamen analytischen Begriffen. Die notwendigen Resultate aus der linearen Algebra folgen in dem etwas längeren Kapitel 7. Besonders erwähnenswert ist, dass die Autoren hierbei auch alternierende Multilinearformen und Tensoren einführen, sowie die besonders bei Physikern beliebte Indexnotation. Anschließend geht es mit der Theorie gewöhnlicher Differentialgleichungen weiter, dann folgen die Differentiations- und Integrationstheorie im |R n. Neben dem Integral im Lebesgueschen Sinne werden dabei auch die Begriffe des Banach- und Hilbert-Raums erläutert, was gerade im Hinblick auf die parallel oder kurz später zu hörende Vorlesung zur Quantenmechanik hilfreich sein dürfte.
In Kapitel 11 lernt der Leser Untermannigfaltigkeiten des |R n und Differentialformen kennen, was inhaltlich im 13. Kapitel mit den Integralsätzen von Stokes und Gauß fortgesetzt wird. Kapitel 12 führt einerseits in die abstrakte Theorie der Distributionen ein, erläutert aber andererseits auch sehr schön die grundlegende Idee der Anwendung von Distributionen auf die Lösungstheorie partieller Differentialgleichungen. Der Student kann hier insbesondere erfahren, was denn eine Grundlösung einer linearen partiellen Differentialgleichung ist, und wozu man eine solche verwenden kann. Anschließend wird der klassische Stoff aus der Funktionentheorie behandelt. Ein Highlight ist besonders das letzte Kapitel, das vor allem für Physik-Studenten mit theoretischer Ausrichtung sehr lehrreich sein dürfte, denn dort werden Begriffe wie Spektrum oder selbstadjungierter Operator eingeführt, ohne die man die Quantenmechanik einfach nicht verstehen kann.
Man merkt dem Buch an, dass der Stoff sehr sorgfältig ausgewählt wurde und auf die Bedürfnisse im Physikstudium abgestimmt ist. Deshalb und auch aufgrund der Darstellung sowie der vielen Beispiele aus der Physik ist den Autoren ein Lehrwerk gelungen, das seinen Platz in der umfangreichen Anfängerliteratur finden wird, und dessen Lektüre ich jedem Physik-Studenten wärmstens empfehlen kann.
Prof. Dr. Markus Pflaum, Fachbereich Mathematik, Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt
Weitere Infos:
H. Kerner, W. v. Wahl: Mathematik für Physiker
Springer, Heidelberg 2006, XII+548 S., broschiert,
ISBN 3540253939