28.05.2024

Streaming: 3 Body Problem

3 Body Problem, USA 2024, Netflix, 8 Folgen von 44 bis 64 Minuten Länge

David Benioff, D. B. Weiss und Alexander Woo nach den Büchern von Liu Cixin

Die Aufmerksamkeit, die der Trisolaris-Trilogie des chinesischen Autors Liu Cixin zuteil wird, ist beachtlich. 2006 erschien der erste Roman „Die drei Sonnen“ als Fortsetzungsroman in einer chinesischen Science-Fiction-Zeitschrift, 18 Jahre später lässt sich der Streamingsender Netflix eine 8-teilige Serien-Verfilmung des ersten Bandes (mit Motiven aus den beiden Folgebänden) erstaunliche 160 Millionen US-Dollar kosten. Gleichzeitig gibt es zeitgleich eine 30-teilige chinesische Serien-Adaption, eine chinesische Animations-Serie auf Grundlage des zweiten Bandes „Der dunkle Wald“ und bereits seit 2017 eine ambitionierte Hörspiel-Version des WDR aller drei Bände.

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Ausgangspunkt ist die erbarmungslose Verfolgung von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in der Zeit der chinesischen Kulturrevolution. Die gefallene Astrophysikerin Ye Wenji verliert ihren Vater bei einer öffentlichen Demütigungsaktion. Ihr wird gestattet in einer Radioantennenanlage zu arbeiten, wo es ihr gelingt, eine Botschaft ins Weltall zu senden und damit in Kontakt mit einer außerirdischen Zivilisation zu treten. Diese existiert etwa 4 Lichtjahre von der Erde auf einem Planeten in einem Dreifach-Stern-System. Dort wechseln sich aufgrund der irregulären Bewegungen der Zentralsonnen stabile und chaotische Perioden ab und stellen die Entwicklung der dortigen Zivilisation vor höchst ungewöhnliche Schwierigkeiten.

Die Trisolarier ihrerseits waren auf der Suche nach einem bewohnbareren Planeten, den sie über Ye Wenjis Signale mit der Erde gefunden haben. Sie bereiten eine Invasion vor, die jedoch wegen der großen Entfernung erst in vier Jahrhunderten stattfinden wird. Auf der Erde etablieren sich derweil mehrere Fraktionen, die ganz unterschiedliche Positionen zur bevorstehenden Invasion einnehmen. Parallel scheint die Physik aus dem Ruder geraten zu sein. Die Teilchenbeschleuniger liefern nur noch unsinnige Daten, was eine Selbstmordwelle in der Physik-Community zur Folge hat.

Eine solch kurze Inhaltsangabe kann nur in Ansätzen die Plot-Verwicklungen und die Fülle von Ideen vermitteln, die der frühere Kraftwerksingenieur Liu Cixin in seiner rund 2000 Seiten umfassenden Trilogie entwickelt – von virtuellen Einblicken in die Welt der Trisolarier, bei denen das himmelsmechanische Drei-Körper-Problem eine zentrale Rolle spielt, über tödlichen Nanodrähte bis hin zu in Extradimensionen „geschmiedeten“ Protonen, die mit Schaltkreisen bestückt und via Quantenverschränkung zu superintelligenten Überwachern („Sophonen“) der Erde werden.

Liu Cixin scheint die Ästhetik der klassischen Ära der angloamerikanischen Science-Fiction der 1940er- bis 1950er-Jahre mit einer chinesischen Perspektive ins 21. Jahrhundert zu übertragen. Man fühlt sich an großangelegte Entwürfe wie Isaac Asimovs „Foundation“-Trilogie (Buchversion 1951 bis 1953) oder den verschwörerischen Geschichten A. E. van Vogts erinnert. Auch Arthur C. Clarkes Roman „Childhood’s End“ (1953, „Die letzte Generation) kommt einen in den Sinn, dort nimmt allerdings eine wohlmeinende außerirdische Zivilisation die Geschicke der Menschheit in die Hand.

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Ein Autor wie Stanislaw Lem hätte sich sicherlich über die allzu mühelose Kommunikation mit den Trisolariern mokiert, wäre aber vermutlich mit dem harschen Bild von der Menschheit einverstanden gewesen, das Liu Cixin entwirft, die von den Trisolariern nur als „Ungeziefer“ bezeichnet wird. Für die desillusionierte Ye Wenji, die eine Art Geheim-Organisation begründet, hat die Menschheit letztlich versagt, sodass sie die Invasion der Trisolarer und die Zerstörung der Menschheit herbeisehnt.

Netflix hat diesen überaus düsteren Stoff als TV-Serie adaptiert, maßgeblich von den Machern der Fantasy-Serie „Game of Thrones“,  David Benioff und D. B. Weiss, sowie dem Autor und Produzenten Alexander Woo („True Blood“) entwickelt. Anders als in der Apple-TV-Verfilmung von Asimovs „Foundation“, deren dialoggesättigte Geschichten sich über Jahrtausende galaktischer Geschichte erstrecken, spielt „3 Body Problem“ in einem sehr gegenwärtigen Setting, bei dem die außerirdische Invasion der Erde 400 Jahre auf sich warten lässt.

Die chinesischen Serie lässt sich mit doch recht zähen 30 Folgen viel Zeit, um nah an der Buchvorlage zu bleiben. Die Netflix-Serie erledigt das Ganze in nur acht Folgen, wobei ein großer Teil der Handlung  von China nach London verlegt wird. Fünf Freunde, die sich aus dem Physik-Studium in Oxford kennen, kommen neu ins Spiel und vereinigen Züge verschiedener Buch-Charaktere auf sich. Der originelle Lokalkolorit von Liu Cixins Trilogie wird so geopfert und die Geschichte kommt wie „Fünf Freunde und die Invasion der Außerirdischen“ daher. Die gängige Serienästhetik wird allerdings durch die sehenswerten Sequenzen, die im virtuellen „Trisolaris-Spiels“ stattfinden, und andere Schauwerte durchbrochen.

Die Geschichte speist sich gewiss aus der großen Faszination des Autors für die Wissenschaft, aber es ist auch instruktiv, sich mit seiner sehr eigenen Sicht auf das Verhältnis von Literatur und Wissenschaft bzw. Science Fiction zu beschäftigen. Liu Cixin sieht die „normale“ Literatur als Ausdruck eines „anthropozentrischen Narzissmus“ an, dem er seine Vorstellung eines Science-Fiction-Blicks auf die Menschheit gegenüberstellt.

Das lässt sich in den Romane viel besser nachvollziehen als in der glattgebügelten Netflix-Serie. Liu Cixin schreibt – soweit sich das anhand der Übersetzungen beurteilen lässt – eher weitschweifig und mit einer unausgewogenen Dramaturgie, gerade am Schluss von „Die drei Sonnen“. Seine Stärke ist sein unbekümmerter Ideenreichtum, nicht zuletzt auf Basis der Physik. Allerdings taugen seine Fantastereien primär als Plot-Instrumente und es erscheint etwas müßig, über eine wie auch immer geartete wissenschaftliche Plausibilität nachzudenken.

Die Frage, was wirklich substanziell und neu an der Trisolaris-Trilogie ist, geht im medialen Hype etwas unter. Das großspurige Urteil „Diese Serie ist ein echter Mindfuck!“ im Podcast-Format „Cinema strikes back!“ lässt vergessen, dass nicht alle Ideen neu sind und es bereits viele ungewöhnlichere Begegnungen mit außerirdischen Zivilisationen gibt – von den rätselhaften Aktivitäten der Quintaner in Stanislaw Lems letzten Roman „Fiasko“ über den Einbruch einer völlig fremdartigen Realität in Jeff Vandermeers „Southern Reach“-Trilogie bis zur virtuell-intertextuellen Invasion in Rian Hughes „XX“.

Wenn man Science Fiction im Sinne von Dietmar Dath als „Kunst- und Denkmaschine“ ansieht, dann lohnt es sich bei Liu Cixins Trilogie eher, die Bücher zu lesen oder die Hörspiele zu hören als die halbherzige Netflix-Serie anzuschauen. Die spezifisch chinesische Perspektive oder politische Implikationen – die für Liu Cixin selbst übrigens gar nicht so wichtig sind, wie er in Interviews bekennt – kommen in der Serie zu kurz.  Die Bücher sind aufschlussreicher, wenn es darum geht, der eigenwillige Science-Fiction-Poetik des Autors auf die Spur zu kommen.

Alexander Pawlak

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