Warum die Wolken nicht vom Himmel fallen
Cole
Von K. C. Cole. Aufbau-Verlag, Berlin 2000. 256 S., 15 Abb., Gebunden, ISBN 3-351-02512-2
Die nette Dame auf dem kleinen Foto der Los Angeles Times, die das "back cover" zeigt, plaudert in diesem Buch unterhaltsam über physikalische Einsichten, die sie teils aus dem Munde, teils aus den populär-wissenschaftlichen Schriften bekannter Physiker gewonnen hat - allen voran Frank Oppenheimer, der Schöpfer des Exploratorium in San Francisco (den sie im Buch ihren "Freund, den Physiker", nennt), Victor Weisskopf, vormals Direktor am CERN und Präsident der American Academy of Arts and Sciences, Philip Morrison, Astrophysiker am MIT in Cambridge, Massachusetts, und darüber hinaus zahlreiche Gelehrte der näheren und ferneren Vergangenheit bis zu Johannes Kepler und Nikolaus Kopernikus. Beredt setzt sie das Gehörte und Gelesene in ein Kaleidoskop von Bildern um - aus der Sicht des Physikers eine bunte Sammlung von Erkenntnissen, gelegentlich aber auch von Halbwahrheiten und missverständlichen Vereinfachungen.
Physik als emotionales Erlebnis zu vermitteln ist das Wunschziel, dem sich die Journalistin schwärmerisch hingibt und das besser durch den Titel ihres 1985 erschienenen Vorgänger-Buches "Sympathetic Vibrations. Reflections on Physics as a Way of Life" (Mitgefühlte Schwingungen. Reflexionen über Physik als Lebensphilosophie) zum Ausdruck kommt.
Die im Buchtitel gestellte Frage, "Warum die Wolken nicht vom Himmel fallen?", wird in diesem Buch nicht beantwortet. Auf Seite 20 liest man nur, dass der Künstler Bob Miller (dem die Autorin ihr Buch widmet) gern die "Physik"-Frage gestellt habe: "Wie kann man hundert Tonnen Wasser ohne erkennbare Aufhängung in der Luft halten?" - die er sogleich selber beantwortete: "...indem man eine Wolke macht!" Ein hübsches Bild! Aber wird damit nicht der einfache Augenschein als Physik ausgegeben? Wer genauer mit den Augen des Physikers hinschaut, sieht die Tröpfchen der Wolke in der sie umgebenden Luft unablässig fallen, wenn auch sehr langsam, weil sie so klein sind. Fast schweben sie, aber sie bewegen sich. Von mächtigen Aufwärtsströmungen der Luft wie in Gewitterwolken können sie rasch empor getragen werden, wachsen und zu Hagelkörnern gefrieren und dann mit beträchtlicher Geschwindigkeit auf die Erde fallen.
Was lernt jemand aus griffigen Formulierungen wie "im Innern der Atome herrscht große Ungewissheit" (S. 25) oder "ein Plasma ist eine glitschige Angelegenheit" (S. 21) oder "und doch fühlt sich Trägheit wie eine Kraft an" (S. 117)? Man verzeiht der Autorin, dass sie ihrem kleinen Sohn auf die Frage, welche Farbe Luft habe, die eindeutige Antwort "blau" gibt (S. 18). Als Physiker möchte man aber doch gern wissen, bei welcher Beleuchtung und mit wessen Augen betrachtet.
Über Naturphilosophie, nicht Physik, wollte die Autorin schreiben und ließ sich dazu von Sachkennern über die modernsten Theorien der Physik unterrichten. Wie kann es gelingen, jedermann ein klares Bild der Physik zu vermitteln, wenn dafür anstelle klar definierter Begriffe nur Bilder und Metaphern zur Verfügung stehen? Bei diesen Gedanken fällt mir eine Vorlesung über die Allgemeine Relativitätstheorie ein, die ich als Student bei Pascual Jordan hörte, demselben, der mit Max Born einer der Begründer der Quantentheorie war. Der Professor definierte einen Lichtstrahl als Gerade in der Raumzeit und fügte hinzu: "Ihnen als Physikern kann ich das sagen. Sie wissen, was eine Definition ist. Ein Philosoph würde vielleicht fragen: ¿Und wenn er nun nicht gerade ist?¿ - wie denn auch die ständige Verwechselung von Definition und Aussage der eigentliche Inhalt dessen ist, was man Philosophie nennt."
Prof. Dr. Wolfgang Bürger, Institut für Theoretische Mechanik, Universität Karlsruhe