24.08.2009

Wernher von Braun

Neufeld, M. J. bzw. Brauburger, S.

Photo

Er galt als Ikone des Raumfahrtzeitalters. Für Hitler baute er die Terrorwaffe V2, für die USA konstruierte er die erste Atomrakete. Er schoss den ersten amerikanischen Satelliten ins All und schuf die Mondrakete. Pünktlich zum 40. Jahrestag der ersten Mond-landung sind nun zwei Biografien erschienen, die sich kritisch mit dem bewegten Leben des Raketenpioniers Wernher von Braun auseinandersetzen: die deutsche Übersetzung von Michael Neufelds lange erwarteter großer Wernher von Braun-Biografie und Stefan Brauburgers Begleitbuch zu einer ZDF-Dokumentation.

Neufeld hat gründlich recherchiert und zahlreiche neue Quellen aufgetan. Im Gegensatz zu vielen von Braun-Biografien gelingt ihm die Gratwanderung zwischen Heldenverehrung und Dämonisierung. Er beschreibt den faustischen Pakt, den von Braun mit den Mächtigen des Dritten Reiches einging, und macht die Janusköpfigkeit der Raketenforschung als Instrument sowohl der Wis-senschaft als auch des Krieges deutlich. Detail- und kenntnisreich schildert er den „Kolumbus des Weltraums“ als Technokraten und politischen Konformisten mit konservativ-nationalistischem Hintergrund (der Vater war Reichsminister unter von Papen und Schleicher). Von Braun, der in den USA ein „wiedergeborener Christ“ wurde, zeigte auch nach dem Krieg keinerlei Schuldgefühle angesichts der vielen tausend Toten, die der Einsatz, vor allem aber die Produktion der V2-Rakete in Peenemünde und im berüchtigten KZ Mittelbau-Dora, gekostet hatte.

Der begeisterte Flieger, Taucher und Segler, der auch musisch begabt war und bei Paul Hindemith Klavierunterricht hatte, stand bereits im Alter von 19 Jahren in Briefkontakt mit Albert Einstein. Er besaß eine unglaubliche physische Energie und war getrieben von seinem visionären Optimismus. Wie weit seine Raketenbesessenheit zuweilen ging, zeigt ein haarsträubender Raketentest aus dem Jahre 1944. Um die Ursache für sog. Luftzerleger der A4-Rakete herauszufinden, begab sich von Braun direkt in das Zielgebiet. Als die Rakete dann fast genau dort einschlug, wo er stand, wurde er von der Detonation in die Luft geschleudert und überlebte wie durch ein Wunder nahezu unverletzt.

Kritisch diskutiert Neufeld auch die Haltung der US-Army, für die das Wissen der deutschen Raketenfachleute wichtiger war als deren Verbrechen. Er beleuchtet erstmals die Auswirkungen der Rassenunruhen in den 60er-Jahren auf das Raketenzentrum in Alabama und analysiert von Brauns Rolle bei der Planung des Space Shuttle. Neufeld macht deutlich, dass von Brauns größte Lei-stung weniger in der technischen Innovation, sondern vielmehr im Management von technologischen Großprojekten lag.

Die ganze Ambivalenz Wernher von Brauns, der sein Geld immer mit Raketen verdient hat, kondensiert Neufeld in dem Satz: „Er war ein Mann, der Eisenhower, Kennedy, Johnson und Nixon die Hand geschüttelt hatte – allerdings auch Hitler, Himmler, Göring und Goebbels.“

Leider erfährt man fast nichts über von Brauns russischen Konkurrenten Sergei Koroljow. Nichtsdestotrotz hat Neufeld eine großartige Biografie vorgelegt, die für viele Jahre das Standardwerk zu Leben und Werk von Brauns sein wird.

Brauburger, ein Journalist aus Guido Knopps Redaktion „Zeitgeschichte“, erhebt den Anspruch, „weiterführende Analysen und die Einordnung in umfassendere historisch-politische Zusammenhänge“ zu liefern. Leider wird er diesem Anspruch nicht gerecht. Nicht nur die inhaltliche Struktur des Buches, sondern auch viele Passagen sind nahezu wörtlich von Neufeld übernommen – leider ohne die Quellen zu nennen. Auch ein Personen- oder Sachregister sucht man vergeblich. Die Sprache ist gefällig, störend sind allerdings flapsige Ausrutscher, wenn es etwa heißt: „Braun hatte für die Akten und den Inhalt des Panzerschranks sein Leben und das anderer riskiert – so war er eben.“ Bemüht wirkt Brauburgers Versuch, Neufelds Bild vom faustischen Pakt noch zu steigern und von Braun nicht nur als modernen Faust, sondern gleichzeitig auch als Mephisto und Zauberlehrling zu verdammen. Während er auf die Rolle des ehemaligen Bundespräsidenten Heinrich Lübke, der nicht nur oberster Bauleiter in Peenemünde war, sondern auch von 1943 bis 45 die Verantwortung für den dortigen Einsatz von KZ-Häftlingen hatte, nicht eingeht, wälzt er Nebensächlichkeiten, wie etwa eine Liebesaffäre von Brauns, breit aus. Positiv zu bemerken ist, dass der Autor auch ein Foto von der fatalen Wirkung eines V2-Treffers mit aufgenommen hat und zeigt, dass neben London vor allem Antwerpen unter dem V2-Beschuss zu leiden hatte.

Leider enthält das Buch neben sprachlichen Ungenauigkeiten auch zahlreiche Fehler. So wurde die erste funktionsfähige Flüssigkeitsrakete von Robert Goddard bereits Ende der 20er-Jahre gestartet (S. 49), um 1940 wurde weder in Frankreich an Atom-bomben gearbeitet noch forschte man zu dieser Zeit in England an Raketen (S. 123).

Wer mehr über Wernher von Braun und die Raketengeschichte wissen möchte, sollte das Buch von Michael Neufeld lesen. Das Buch von Brauburger kann man sich sparen.

Dr. Michael Schaaf, Deutsche Internationale Schule Johannesburg
 

  • M. J. Neufeld: Wernher von Braun. Visionär des Weltraums. Ingenieur des Krieges. Siedler, München 2009, 688 S., geb., ISBN 9783886809127
  • S. Brauburger: Wernher von Braun. Ein deutsches Genie zwischen Untergangswahn und Raketenträumen. Pendo, München 2009, 304 S., geb., ISBN 9783866122284

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