Zum Zusammenspiel von Instrument, Experiment und Theorie
Hentschel
Zum Zusammenspiel von Instrument, Experiment und Theorie
Von K. Hentschel.
Schriftenreihe Naturwissenschaftliche Forschungsergebnisse, Band 58, Verlag Dr. Kovac, Hamburg 1998. 1030 S.,
ISBN 3-86064-730-X
Im vergangenen Jahrzehnt hat sich die Physikgeschichte und speziell auch die Wissenschaftstheorie verstärkt mit der Komplexität des Verhältnisses von Theorie und Experiment sowie der Bedeutung instrumenteller Entwicklungen für die Physikentwicklung beschäftigt. Dabei konnte zwar in keiner Weise die Vorliebe der physikhistorischen Forschung für die Rekonstruktion von Theorieentwicklungen gebrochen werden, doch sind eine Reihe bemerkenswerter Publikationen entstanden, die zumindest den Finger auf diese physikhistorische Wunde legten und für die Zukunft hoffen lassen.
Zu jenen Publikationen darf man auch die beiden vorliegenden Bücher zählen. Ist das eine die gewichtige Habilitationsschrift des Göttinger Physikhis torikers Klaus Hentschel, so handelt es sich beim zweiten um einen Sammelband, der aus einer interdisziplinären Tagung am Bielefelder Zentrum für interdisziplinäre Forschung hervorgegangen ist. Letzterer bietet dem interessierten Leser mit seinem breiten Spektrum an Beiträgen einen profunden Einstieg in das komplexe Themenfeld. Von besonderem Interesse ist dabei der Beitrag M. Heidelbergers "Die Erweiterung der Wirklichkeit im Experiment", der aus wissenschaftstheoretischer Sicht den zentralen Stellenwert des Experiments für die moderne Naturerkenntnis herausstellt - "die Eigenart der modernen Naturwissenschaft (beruht) wesentlich auf dem Experiment" (S.71) - und zeigt, dass die Rolle des Experiments nicht allein auf die Theorie-Überprüfung zu reduzieren ist. Vielmehr verfügen die so genannten produktiven und konstruktiven Experimente über Funktionen, "die man als Fähigkeit zur theoriefreien Erzeugung von Wirklichkeit beschreiben kann" (S.72). Als Beispiele solch produktiven und konstruktiven Experimentierens werden Versuche mit der Leidener Flasche und der Luftpumpe im 18. Jahrhundert kurz beschrieben, da "dabei keine theoretische Interpretation eines Erfahrungsbefundes überprüft wird, sondern die Möglichkeiten des apparativen Eingriffs und Umgangs ausgereizt werden" (S.87). Interessant wäre es, diese Begrifflichkeit nicht nur an solchen klassischen und relativ einfachen Beispielen zu testen, sondern auch die sehr viel diffizileren Zusammenhänge moderner Experimente - etwa in der Hochenergie- oder Laserphysik - einzubeziehen. Welche Rolle spielt hierbei etwa die Arbeitsteilung zwischen Theoretiker, Experimentalphysiker und Ingenieur für den Prozess des Experimentierens?
Diese Vielschichtigkeit und innere Dynamik der experimentellen Praxis versuchen M. Hagner und H.-J. Rheinberger mit ihrem Konzept des Experimentalsystems einzufangen. Dieses wird nach ihren geistigen Vätern als hochkomplexe "kleinste funktionelle Einheit der (experimentellen) Forschung" angesehen, deren Elemente vom Forschungsgegenstand selbst über die theoretischen, experimentellen und instrumentellen Rahmenbedingungen bis hin zu disziplinären, institutionellen und sozialen Komponenten des Forschungsprozesses reichen. Auch wenn K. Hentschel diesem Ansatz kritisch gegenübersteht und im vorliegenden Sammelband auf "die Gefahr eines Verlustes an Auflösungsschärfe durch zu umfassende Begriffsbildung" verweist (S.328), ist seine umfangreiche Habilitationsschrift doch ein instruktives Beispiel aus der modernen Physik, im Sinne dieses Konzepts dem komplexen Wechselspiel von experimenteller, instrumenteller und theoretischer Entwicklung ganz konkret auf die Spur zu kommen. Seine Fallstudie ist zudem eine profunde Geschichte der modernen Spektroskopie, die mit ihrer überwältigenden Fülle an Literaturhinweisen geradezu zu weiterführenden Untersuchungen einlädt.
Dr. Dieter Hoffmann, MPI für Wissenschafts geschichte, Berlin
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