1, 2, 3, viele …
Experimentalphysiker beobachten, wie aus wenigen Teilchen ein ‚Haufen‘ wird.
Wie groß muss ein Ensemble von Teilchen sein, damit die Frage nach der genauen Teilchenzahl unwichtig wird? Heidelberger Physikern ist es in Experimenten mit ultrakalten Atomen am MPI für Kernphysik gelungen, den Übergang zu einem durch unendlich viele Teilchen beschriebenen System zu beobachten. Dieses physikalische Problem ist in der Philosophie als Sorites-Paradoxon bekannt. Im Mittelpunkt steht dabei die Frage, ab wann eine Ansammlung von Elementen einen ‚Haufen‘ bildet.
Abb.: Entstehung eines Vielteilchensystems – ein einzelnes Atom (blau) dient als Sonde, um die Energie des Teilchen um Teilchen (grün) entstehenden Vielteilchensystems zu messen. (Bild: U. Heidelberg)
„Systeme, die aus vielen Teilchen bestehen, lassen sich in der Regel nur sehr schwer mikroskopisch exakt beschreiben. Wissenschaftler arbeiten daher häufig mit effektiven Theorien, mit denen nicht mehr die einzelnen Teilchen wie zum Beispiel Gasmoleküle in der Luft betrachtet werden, sondern makroskopische Größen wie Druck oder Temperatur“, erläutert Selim Jochim. Ausgangspunkt der aktuellen Experimente war ein speziell präpariertes System, das klein genug war, um es noch exakt beschreiben zu können. Beginnend mit einem Atom erhöhten die Wissenschaftler nun Atom für Atom die Anzahl der Teilchen. Dabei wurde immer wieder die Energie des gesamten Systems gemessen. Die Untersuchungen zeigten schließlich, dass für das hier untersuchte System bereits bei sehr wenigen Atomen die für ein unendlich großes System hergeleitete Theorie anwendbar wird. „Dies können wir als direkt beobachtbaren Übergang von einem Wenigteilchensystem zu einem Vielteilchensystem bezeichnen. Bereits ab etwa vier Atomen ist, in einfachen Worten gesprochen, das von uns untersuchte System ein Haufen‘ im Sinne des Sorites-Paradoxon“, so der Heidelberger Physiker.
Die jetzt veröffentlichten Forschungsergebnisse basieren auf Vorarbeiten der Heidelberger Physiker aus dem Jahr 2011. Den Wissenschaftlern um Jochim ist es vor zwei Jahren gelungen, das für die aktuellen Untersuchungen verwendete System reproduzierbar in allen seinen Eigenschaften, zu denen die exakte Teilchenzahl, deren Bewegungszustand und ihre Wechselwirkung gehören, zu kontrollieren. „Bis heute sind wir das weltweit einzige Forscherteam, das derartige Systeme präparieren kann“, betont Jochim. „Die nun publizierten Ergebnisse verwirklichen zum ersten Mal unsere Vision, mit diesen Experimenten einen tiefen Einblick in die Natur fundamentaler Wenigteilchensysteme zu gewinnen, um beispielsweise Atomkerne besser zu verstehen.“
RKU / OD