08.06.2015

Aggressive Elektronen

Rosetta klärt Prozess, der den rapiden Zerfall von Wasser- und Kohlen­dioxid­mole­külen bewirkt – UV-Pho­tonen nicht alleine zugange.

Die Rosetta-Mission der ESA hat den Kometen im August 2014 erreicht. Seitdem umkreist die Raumsonde den Kometen oder fliegt an ihm vorbei – in Entfer­nungen von acht bis hin zu einigen Hundert Kilometern. Während dieser Flüge sammelt Rosetta, ausgestattet mit elf wissen­schaftlichen Instrumenten, Daten zu allen Aspekten der Kometen­umwelt. Eines dieser Geräte, der von der NASA gelieferte Alice-Spektograf, untersucht die chemische Zusammen­setzung der Kometenvatmosphäre in langen Ultra­violett-Wellen­längen­bereichen. Alice kann so einige der am häufigsten vorkom­menden Elemente im Universum aufzuspüren. Dazu gehören Wasserstoff, Sauerstoff, Kohlenstoff und Stickstoff.

Abb.: Wie die Daten des UV-Spektrografen Alice belegen, sind Elektronen und nicht Photonen die Hauptverantwortlichen für das schnelle Aufbrechen von Wasser- und Kohlendioxidmolekülen in der Atmosphäre des Kometen 67P/Tschurjumow-Gerassimenko (; Bild: ESA / ATG medialab / MPS f. OSIRIS Team / NavCam Cons. / Feldman et al.)

Eine Studie beschreibt jetzt Beobachtungen des Alice-Spektographen, die während Rosettas erster vier Monate am Kometen gemacht wurden. In dieser Zeit war die Raumsonde zwischen zehn und achtzig Kilometer vom Mittel­punkt des Kometen­kerns entfernt. Dabei konzentrierte sich das Team auf die Beschaf­fenheit der Wasser- und Kohlen­dioxid­schwaden, die der Komet an seiner Oberfläche ausspeit. Dieses Hervor­brechen wird von der Wärme der Sonne ausgelöst. Dafür analysierten die Wissen­schaftler nahe am Kometen­kern die Emissionen von Wasserstoff- und Sauerstoff­atomen, die ein Ergebnis aufge­brochener Wasser­moleküle sind. Ebenso studierten sie Kohlen­stoff­atome von Kohlen­dioxid­molekülen.

Demnach werden die Moleküle wahrscheinlich in einem zweistufigen Prozess aufgebrochen: Zunächst trifft ein UV-Photon der Sonne ein Wassermolekül im Kometenkoma und ionisiert es. Dabei löst das Photon ein energetisches Elektron aus dem Molekül heraus. Dieses Elektron trifft dann auf ein anderes Wassermolekül im Koma und spaltet es in zwei Wasserstoff- sowie ein Sauerstoffatom auf. Während dieses Prozesses energetisiert das Elektron die Atome. Diese Atome geben dann ultraviolettes Licht ab, dessen charakteristische Wellenlängen der Alice-Spektograph registriert.

Gleichermaßen führt der Aufprall eines Elektrons auf ein Kohlendioxid­molekül zu einem Aufspalten in Atome und die beobachteten Kohlenstoff­emissionen. „Durch die Analyse der relativen Intensitäten der beobachteten atomaren Emissionen konnten wir feststellen, dass wir tatsächlich die ‚Eltern’-Moleküle beobachten, die von Elektronen in unmittel­barer Nähe des Kometen­kerns, etwa einen Kilometer von ihm entfernt, aufgebrochen werden, und zwar an dem Ort, an dem sie entstehen“, sagt Teamleiter Paul Feldman, Professor für Physik und Astronomie an der Johns Hopkins University in Baltimore.

Von der Erde oder von erdumkreisenden Observatorien wie dem Hubble-Weltraumteleskop aus können die atomaren Bestand­teile von Kometen dagegen nur beobachtet werden, nachdem die Eltern­moleküle – zum Beispiel Wasser oder Kohlen­dioxid – vom Sonnenlicht aufgebrochen worden sind – Hunderte bis Tausende Kilometer vom Kometenkern entfernt. „Diese Entdeckung, über die wir jetzt berichten, kam ziemlich unerwartet“, sagt Alice-Projektleiter Alan Stern vom Southwest Research Institut in Boulder, Colorado, „Es zeigt uns auf, wie wichtig es ist, zu Kometen zu fliegen, um sie aus der Nähe analysieren zu können. Denn diese Entdeckung wäre niemals von einem Observatorium auf der Erde oder in einem Erdorbit gemacht worden, weder von einem existierenden noch von einem geplanten. Und diese Entdeckung verändert unser Wissen über Kometen fundamental.“

„Durch die Analyse der Emissionen von Wasserstoff- und Sauerstoff­atomen, die von den Wasser­molekülen abgespalten werden, können wir außerdem die Lage sowie die Struktur der Wasser­schwaden, die aus der Kometen­oberfläche heraus­brechen, bestimmen“, ergänzt sein SwRI-Kollege Joel Parker. Das Wissenschaftler-Team vergleicht diese Aufspaltung der Moleküle mit dem Prozess, der für die Schwaden auf Jupiters vereistem Mond Europa vorge­schlagen wurde – mit dem Unterschied, dass die Elektronen am Kometen von Solar­photonen produziert werden. Die Elektronen auf Europa kommen aus Jupiters Magnetosphäre.

Daten, die andere Rosetta-Geräte gesammelt haben, bekräftigen die Alice-Ergebnisse. Zu nennen sind hier MIRO, ROSINA und VIRTIS, die in der Lage sind, die vielen verschiedenen Komabestandteile sowie deren Variationen im Zeitverlauf zu analysieren, sowie Geräte zur Partikelerkennung wie RPC-IES. „Diese frühen Ergebnisse des Alice-Spekto­grafen zeigen, wie wichtig es ist, einen Kometen in unter­schiedlichen Wellen­längen­bereichen und mit unter­schied­lichen Techno­logien zu untersuchen, um so verschiedene Aspekte der Kometen­umwelt zu erforschen“, sagt Matt Taylor, Rosetta-Projekt­wissen­schaftler der ESA, und schließt: „Wir verfolgen derzeit aktiv, wie sich der Komet entwickelt, während er auf seinem Orbit der Sonne immer näher kommt, bis er im August das Perihel erreicht. Wir sehen, wie die Schwaden wegen der zunehmenden Sonnen­wärme immer aktiver werden und untersuchen die Auswirkungen der Kometen­interaktion mit dem Sonnenwind.“

ESA / OD

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