14.12.2012

Aller fermionischen Dinge sind drei

Der Baukasten der Natur ist beschränkt: Es gibt keine vierte Standardmodell-Generation.

Die vierte Generation von Fermionen wurde schon mehrfach für tot erklärt. Jenseits der bislang entdeckten Materie schien kein Platz für weitere Teilchen. Das wichtigste Ergebnis zum Ausschluss einer vierten Generation waren seinerzeit die Daten des alten Beschleunigers LEP am CERN. Die Zerfälle von bei Elektron-Positron-Kollisionen erzeugten Z-Bosonen wiesen darauf hin, dass nur drei Sorten Neutrinos existieren. Ein weiterer Neutrino-Typ galt damit zunächst als ausgeschlossen. Allerdings erwiesen sich die Nachrufe auf die vierte Generation im Nachhinein immer wieder als verfrüht. Die LEP-Forscher waren noch davon ausgegangen, dass Neutrinos keine Ruhemasse besitzen. Die Existenz eines vierten masselosen Neutrinos hätte man aber nichtsdestotrotz nachweisen können.

Abb.: Detektoren wie CMS liefern die Daten zu den nun untersuchten Teilchenzerfällen. (Bild: KIT / M. Breig)

Die theoretische Möglichkeit war also nicht auszuschließen, dass eine extrem schwere vierte Generation existiert – mit einem Neutrino, dessen Ruhemasse über der halben Z-Boson-Masse liegt. Denn dieses zerfällt unter anderem in Neutrino und Antineutrino. Das Interesse an den schweren Geschwistern der bislang nachgewiesenen Materieteilchen blieb deshalb bestehen und drückte sich in über 500 Veröffentlichungen zur Thematik über die letzten Jahre hinweg aus.

Die heute bekannte Materie besteht aus drei Generationen Fermionen, die sich in die elektroschwach wechselwirkenden Leptonen und die zusätzlich der starken Kraft unterliegenden Quarks aufteilen. Zum leptonischen Part gehören Elektron, Myon und Tau mit ihren jeweils assoziierten Neutrinos. Die Quark-Familien setzen sich zusammen aus Up- und Down-Quark sowie Charm und Strange und schließlich Top und Bottom.

Die Frage nach einer vierten Generation lag nach der LEP-Messung bis 2007 auf Eis, als klar wurde, dass eine vierte Familie mit schwerem Neutrino durchaus möglich ist. Den direkten Nachweis eines Fermions der vierten Generation konnten Forscher aber mit den Daten vom LEP und von der Higgs-Suche bis rund 600 Gigaelektronenvolt nicht erbringen. Die Entdeckung des Higgs-Bosons hat nun jedoch neue indirekte Analysen ermöglicht. Sie beruhen darauf, dass bestimmte Korrekturen in die Feynman-Diagramme zu Erzeugung und Zerfall des Higgs eingehen, die sehr sensitiv auf schwere Fermionen sind. Sie eignen sich deshalb zur Suche nach diesen Teilchen.

Das Standardmodell der Teilchenphysik sieht vor, dass Fermionen proportional zu ihrer Ruhemasse an das Higgs koppeln. Falls Fermionen mit höherer Ruhemasse als der des Higgs existieren, steigt etwa auch die Rate der Higgs-Erzeugung via Gluon-Gluon-Fusion. Die Korrekturterme, die durch die schweren Quarks Einzug halten, erhöhen diese Amplitude um einen Faktor drei. Dementsprechend erhöht sich die Produktionsrate um den quadrierten Faktor neun.

Bei den Zerfällen sieht das Bild etwas vielschichtiger aus. Denn die Korrekturterme führen dort auch zu Kürzungen bei den Amplituden. Gäbe es eine schwere vierte Fermionen-Generation, so wäre der Zerfall des Higgs in zwei Photonen fast unmöglich. Das wiederspräche der diesen Sommer beim CERN veröffentlichten Zerfallsstatistik. Der beobachtete Zerfall in zwei Photonen gehört dort zu den wichtigsten Nachweiskanälen für das Higgs-Boson.

Die nun publizierte Forschungsarbeit stützt sich nicht nur auf die Higgs-Daten des CERN, sondern auch auf die Ergebnisse des Tevatron zum paarweisen Zerfall von Higgs in verschiedene Teilchen-Antiteilchen-Kanäle. Neben den Vektorbosonen W, Z und Photon waren dies vor allem die Kombinationen Bottom-Antibottom sowie Tau-Antitau. Den stärksten Anteil zum Gesamtresultat lieferte der Doppel-Photon-Kanal, gefolgt von den Bottom-Antibottom-Zerfällen, die ebenfalls deutlich signifikant waren. Mit in die Analyse gingen auch die alten Daten vom LEP zum Z-Zerfall ein, wenngleich die Korrekturterme dort nicht so stark wirkten wie beim Higgs.

Die Forscher können aufgrund ihrer statistischen Analyse mit 5,3 Sigma ausschließen, dass eine vierte Standardmodell-Fermionengeneration existiert. Werden die Tevatron-Daten nicht mitberücksichtigt, liegt die Signifikanz immer noch bei 4,8 Sigma. Dieser Ausschluss unterliegt aber einer wichtigen Einschränkung: Die Forscher sind bei ihrer Kalkulation davon ausgegangen, dass die Störungsrechnung anwendbar ist. Bei Massen jenseits von 800 Gigaelektronenvolt wird die Kopplung aber so stark, dass störungstheoretische Korrekturen nicht mehr greifen.

Für diesen Fall liegen jedoch quantenfeldtheoretische Gitterrechnungen vor, die darauf hindeuten, dass das vergleichsweise leichte Higgs nicht mit schweren Standardmodell-Fermionen kompatibel ist. Der Standard-Baukasten der Teilchenphysik scheint also vorläufig abgeschlossen zu sein und beinhaltet die zwölf bekannten Fermionen sowie deren Antiteilchen.

Die Frage, warum genau drei Fermionen-Generationen existieren und nicht mehr oder weniger, kann aber im Rahmen des heutigen Standardmodells nicht beantwortet werden, und bleibt ebenso bestehen wie die Frage nach den Unterschieden zwischen Materie und Antimaterie. Supersymmetrische Modelle, die diese Probleme zu lösen suchen, werden von den neuen Ergebnissen aber nur bedingt berührt. So kann in manchen dieser Ansätze nicht ausgeschlossen werden, dass weitere schwere Fermionen existieren, die ihre Masse nicht durch Kopplung an das Higgs-Boson, sondern durch Brechung der Supersymmetrie erhalten. Jenseits des Standardmodells bleiben also weiterhin viele Baukästen denkbar.

Dirk Eidemüller

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