Anti-Wasserstoff für 2.000 Sekunden gespeichert
Lange Speicherung ermöglicht spektroskopische Untersuchungen zur Überprüfung des CPT-Theorems.
Lange Speicherung ermöglicht spektroskopische Untersuchungen zur Überprüfung des CPT-Theorems.
Wissenschaftlern am Europäischen Kernforschungszentrum CERN ist es gelungen Anti-Wasserstoff für bis zu 2.000 Sekunden einzufangen. Die längste zuvor nachgewiesen Speicherung von Anti-Wasserstoff betrug nur 172 Millisekunden.
Anti-Wasserstoff ist der antimaterielle Gegenpart zu Wasserstoff. Er besteht aus einem negativ geladenen Antiproton als Kern und einem daran gebundenen Positron, dem positiv geladenen Anti-Teilchen des Elektrons. Kommt Antimaterie in Kontakt mit gewöhnlicher Materie, zerstrahlen beide sofort.
Abb.: Aufbau der Falle am ALPHA-Experiment. Ein Oktopol-Magnet und ringförmige Elektroden umgeben die Experimentierkammer. (Bild: The ALPHA Collaboration, Nat. Phys.)
Erstmals erzeugt wurde Anti-Wasserstoff 1995. Einer Forschergruppe unter Leitung von Walter Oelert vom Forschungszentrum Jülich gelang es 9 Anti-Wasserstoffatome nachzuweisen. Dazu führten sie heiße Plasmen von Anti-Protonen und Positronen zusammen. Verantwortlich für die Bildung von Anti-Wasserstoff ist dabei ein Dreierstoß. Während sich ein Positron an ein Anti-Proton bindet und so Anti-Wasserstoff entsteht, führt ein zweites Positron die überschüssige Energie aus der Kollision und die durch die Bindung frei werdende Energie ab.
Allerdings besaßen die ersten Anti-Wasserstoffatome eine extrem hohe kinetische Energie und damit eine hohe Temperatur. Um die Eigenschaften des Anti-Wasserstoffs zu untersuchen, zum Beispiel mit Laserspektroskopie, muss man ihn lange genug speichern können – mindestens einige Hundert Millisekunden. Dazu sind aber „kalte“ Antiteilchen nötig. 2002 gelang es der ATHENA-Kollaboration, mehrere 10.000 Atome kalten Wasserstoffs zu erzeugen. Sie konnten die Anti-Atome aber nicht in ihrer Falle speichern, weil diese im Gegensatz zu Anti-Protonen und Positronen elektrisch neutral sind.
Diesem Problem widmet sich die ALPHA-Kollaboration am CERN. Das Forscherteam konstruierte eine Kombination zweier Teilchenfallen. Zunächst speicherten sie Anti-Protonen und Positronen separat als Plasmen. Die Anti-Protonen stammten aus dem Ringbeschleuniger des CERN, die Positronen entstanden beim Beta-Zerfall eines radioaktiven Natrium-Isotops.
Die Falle, in der die Plasmen gespeichert wurden, bestand aus in Ringen angeordneten Elektroden und einem supraleitenden Oktopol-Magneten. Auf der einen Seite der zylinderförmigen Falle strömten Anti-Protonen ein. Sie wurden mit einem kalten Elektronenplasma vorgekühlt. Durch Evaporationskühlung – die Forscher entfernten dabei wie bei der Verdunstung nach und nach die heißesten Anti-Protonen – entstand schließlich ein Plasma aus 1,5 104 Anti-Protonen mit einer Temperatur von 100 Kelvin. Am anderen Ende der Falle erzeugten die Forscher – ebenfalls durch Evaporation – ein 40 Kelvin kaltes Plasma aus 106 Positronen.
Die beiden Plasmen wurden in der Mitte der Falle gemischt. Anti-Wasserstoff ist elektrisch neutral und lässt sich deshalb – anders als seine elektrisch geladenen Grundbestandteile Anti-Protonen und Positronen – nicht in einem elektrischen Feld speichern. Um den Anti-Wasserstoff dennoch festzuhalten, benutzten die Forscher ein inhomogenes Magnetfeld, dass mit dem magnetischen Moment des Anti-Wasserstoffs wechselwirkt. Die Konfiguration der Falle am ALPHA-Experiment erzeugte ein solches Magnetfeld. Dieses war aber relativ schwach und konnte deshalb nur neutrale Teilchen niedriger kinetischer Energie speichern. Ein neuartiges nichtlineares Autoresonanz-Verfahren sorgte dafür, dass Anti-Wasserstoffatome relativ niedriger Energie entstanden. Diese konnten in der Falle gespeichert werden.
Zum Nachweis der Anti-Materie schalteten die Wissenschaftler das Magnetfeld aus. Der Anti-Wasserstoff wurde nicht länger festgehalten und bewegte sich zum Rand des Experimentaufbaus. Als die Anti-Protonen der Anti-Wasserstoffatome mit Protonen der metallischen Elektroden der Falle in Kontakt kam, annihilierten sie. Dabei entstanden pi-Mesonen, die als Nachweis für den zuvor gefangenen Anti-Wasserstoff gedeutet wurden.
Bei 201 Versuchen konnte das ALPHA-Team auf diese Weise für 112 Anti-Wasserstoffatome eine Speicherzeit zwischen 0,4 und 2.000 Sekunden nachweisen. Das bedeutet eine Verbesserung der Speicherzeit um vier Größenordnungen.
Berechnungen der Forscher zeigten, dass nach 0,5 Sekunden 99 % der gespeicherten Anti-Wasserstoffe im energetischen Grundzustand vorliegen. Diese Ergebnisse stellen die spektroskopische Untersuchung von Anti-Wasserstoff in Aussicht. Mit Laserstrahlung könnte überprüft werden, ob Anti-Wasserstoff dasselbe Energie-Spektrum besitzt, wie gewöhnlicher Wasserstoff.
Das sagt das CPT-Theorem, ein Fundament des Standardmodells, vorher. Nach diesem von Wolfgang Pauli formulierten Theorem, steht jeder Vorgang, der durch Vertauschen von Materie mit Antimaterie und zusätzlich spiegelbildlich und zeitumgekehrt stattfindet, ebenfalls im Einklang mit den Gesetzen der Physik. Eine Abweichung des Anti-Wasserstoff-Spektrums würde auf eine Verletzung des CPT-Theorems hindeuten. Pauli konnte zeigen, dass aus einer CPT-Verletzung auch eine Verletzung der Lorentz-Invarianz und damit der Speziellen Relativitätstheorie folgen würde.
Außerdem sollte sich durch die lange Speicherzeit untersuchen lassen, ob Anti-Materie die gleichen Gravitationseigenschaften besitzt wie Materie, hoffen die Forscher.
Philipp Hummel
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