Antimaterie im freien Fall
ALPHA-g und GBAR sammeln Daten zur Gravitation von Antiwasserstoff.
Es braucht kein Physikstudium, um gelernt zu haben, dass zwei Objekte unterschiedlicher Masse in Abwesenheit von Reibungskräften mit gleicher Geschwindigkeit zur Erde fallen. Aber gilt das auch für Antimaterie? Ob diese mit gleicher Geschwindigkeit wie „normale“ Materie herunterfallen würde, lässt sich aus naheliegenden Gründen nicht in Schülerexperimenten herausfinden. Vergangene Woche starteten am CERN nun die Experimente ALPHA-g und GBAR zur Untersuchung des Verhaltens von Antimaterie im Gravitationsfeld der Erde.
Abb.: Installation des ALPHA-g-Experiments in der Antiprotonenbeschleunigerhalle des CERN. (Bild: CERN)
ALPHA-g ist dem seit 2005 betriebenen Experiment ALPHA (Antihydrogen Laser PHysics Apparatus) sehr ähnlich. Dieses stellt neutrale Antiwasserstoffatome her, indem es Antiprotonen aus dem Antiprotonenverzögerer (AD) mit Positronen aus einer Natrium-22-Quelle zusammenführt. Die so entstehenden neutralen Antiwasserstoffatome werden im ALPHA-Experiment in einer Magnetfalle eingeschlossen und mit Laserlicht oder Mikrowellen bestrahlt, um ihre innere Struktur zu messen. Das ALPHA-g-Experiment verfügt über die gleiche Art von Geräten zur Herstellung und zum Einfangen von Antiatomen, ist allerdings vertikal ausgerichtet. Nachdem Abschaltung der Magnetfelder der Falle stehen die Antiwasserstoffatome nur noch unter Einfluss des Erdgravitationsfelds. Die Forscher können mit diesem Aufbau also den freien Fall der Antiatome messen, indem sie die vertikalen Positionen, an denen sich Antiwasserstoffatome und normaler Materie gegenseitig unter Aus shy;sendung von Strahlung vernichten, bestimmen. So lässt sich die Wirkung der Schwerkraft auf die Antiatome genau unter shy;suchen.
Das GBAR- (Gravitational Behaviour of Antihydrogen at Rest-) Experiment, das sich ebenfalls in der AD-Halle befindet, geht einen anderen Weg. Es bringt Antiprotonen aus dem Verzögerungsring ELENA (Extra Low ENergy Antiproton) und Positronen aus einem kleinen Linearbeschleuniger zu Antiwasserstoffionen zusammen, die aus einem Antiproton und zwei Positronen bestehen. Diese Antiwasserstoffionen werden dann eingefangen und auf eine extrem niedrige Temperatur von circa 10 Mikrokelvin abgekühlt. Anschließend werden sie mit Laserlicht von einem Positron befreit und in neutrale Antiwasserstoffatome umgewandelt, die dann aus der Falle gelöst werden und überwacht eine Fallstrecke von 20 Zentimetern zurücklegen.
Abb.: Eine Extraktionslinie verbindet ELENA mit dem neu installierten Entschleuniger von GBAR. (Bild: Julien Ordan/CERN)
Monatelang arbeiteten Wissenschaftler und Ingenieure rund um die Uhr an der Zusam menstellung der Experimente. Nachdem ELENA bereits im Juli einen ersten Strahl zu GBAR schickte, erhielt Ende Oktober nun auch ALPHA-g nach Bestehen der erforderlichen Sicherheitsanforderungen erste Antiprotonen aus dem Antiprotonenverzögerer. Dies markiert den Beginn beider Experimente. Bevor in wenigen Wochen die Beschleuniger des CERN für zweijährige Wartungsarbeiten abgeschaltet werden, können die Teams von ALPHA-g und GBAR ihre Experimente in Betrieb nehmen.
Jeffrey Hangst, Sprecher der ALPHA-Experimente, hofft. „dass wir die Chance bekommen, die ersten Schwerkraftmessungen mit Antimaterie durchzuführen, aber es ist ein Rennen gegen die Zeit". Patrice Pérez, Sprecher des GBA-Teams, erklärt: „Das GBAR-Experiment verwendet ein völlig neues Gerät und einen Antiprotonenstrahl, der sich noch in der Inbetriebnahme befindet. Wir hoffen, in diesem Jahr Antiwasserstoff zu produzieren und arbeiten daran, die Gravitationswirkungen auf die Antimaterie zu messen, wenn die Antiprotonen im Jahr 2021 zurück sind“.
Als weiteres Experiment zur Antimaterie-Schwerkraft-Forschung untersucht AEgIS (Antihydrogen Experiment: Gravity, Interferometry, Spectroscopy) seit einigen Jahren in der AD-Halle mit einem weiteren Ansatz die Wirkung der Schwerkraft auf Antiwasserstoff. Wie GBAR hofft auch AEgIS, in diesem Jahr die ersten Antiwasserstoffatome zu produzieren.
Unterschiedliche Verhalten von Materie und Antimaterie in Bezug auf die Schwerkraft können auf eine Quantentheorie der Gravitation hinweisen und vielleicht Aufschluss darüber geben, warum das Universum eher aus Materie als aus Antimaterie zu bestehen scheint.
CERN / LK