Antiwasserstoff ist auch nur Wasserstoff

Erstmalige Messung der Lamb-Verschiebung liefert keinen Hinweis auf fundamentale Symmetrieverletzungen.

Die Lamb-Verschiebung ist ein fundamen­taler Effekt in der Fein­struktur von Atom­spektren, in der sich quanten­feld­theore­tische Beiträge zeigen. Sie ist verant­wort­lich für die Auf­spaltung von Spektral­linien, wobei diese Auf­spaltung gleich durch mehrere grund­legende Faktoren bedingt ist. Damit ist die Lamb-Verschiebung ein hervor­ragender Test für funda­mentale Frage­stellungen in der Quanten­physik. Wissen­schaftler der Alpha-Kollabo­ration am CERN konnten jetzt erst­malig die Lamb-Verschiebung an Anti­wasser­stoff messen. Damit wird ein Vergleich mit den Präzisions­messungen an normalem Wasser­stoff möglich.

Abb.: Das ALPHA-Experiment am CERN. (Bild: CERN)
Abb.: Das ALPHA-Experiment am CERN. (Bild: CERN)

Die Entdeckung der Lamb-Verschiebung geht zurück auf Willis Eugene Lamb, der sie erst­mals 1947 an Wasser­stoff nach­weisen konnte. Diese damals unerwartete Entdeckung war ein wichtiger Ausgangs­punkt für die Entwick­lung der Quanten­elektro­dynamik. Wie sich später in der Analyse heraus­stellen sollte, führen verschiedene Strahlungs­korrek­turen zu einer Auf­spaltung der Energie­niveaus 2S1/2 und 2P1/2, die laut der Dirac-Gleichung die exakt gleiche Energie aufweisen sollten.

Gleich mehrere quanten­elektro­dynamische Beiträge heben die Gleich­wertig­keit dieser atomaren Zustände aller­dings auf und sorgen für eine kleine Verschiebung ihrer Energie­niveaus. Hierfür sorgt in erster Linie die Selbst­energie des Elektrons, die sich durch die Emission und Absorption virtueller Photonen – also die Wechsel­wirkung mit Vakuum­fluktua­tionen – darstellen lässt. Außerdem trägt auch die Vakuum­polari­sation – die Erzeugung und Vernichtung virtu­eller geladener Teilchen­paare – zur Lamb-Verschiebung einen Teil bei. Hier­durch wirkt das Vakuum wie ein sehr schwaches Dielek­trikum und schirmt die Ladung des Atomkerns ab.

Wie bei der Selbstenergie ist hier der Effekt auf Elektronen in der s-Schale am stärksten, da deren Aufent­halts­wahr­schein­lich­keit beim Atomkern am höchsten ist. Weitere Beiträge zur Lamb-Verschiebung stammen vom anomalen magne­tischen Moment des Elektrons sowie von Termen höherer Ordnung in Potenzen der Fein­struktur­konstante. Damit lassen sich anhand der Lamb-Verschiebung funda­mentale Fragen zu den Symmetrien und insbesondere zur CPT-Symmetrie angehen, die die Existenz von Materie gegenüber Anti­materie in unserem Universum erklären könnte.

Abb.: Schematischer Aufbau des ALPHA-Experiments. (Bild: ALPHA Collaboration /...
Abb.: Schematischer Aufbau des ALPHA-Experiments. (Bild: ALPHA Collaboration / Springer Nature)

Um die Lamb-Verschiebung an Anti­wasser­stoff messen zu können, mussten die Forscher der Alpha-Kollabo­ration zunächst eine aus­reichende Menge an Anti­wasser­stoff erzeugen. Dazu wird der Strahl des Proton Synchrotron am CERN in einen Block Metall geschossen. Dabei entstehen unter anderem Anti­protonen, die am Anti­proton Decele­rator abgebremst werden, bis sie schließlich in einer elektro­magne­tischen Falle gespeichert werden können. Als Positronen­quelle diente das Radio­nuklid Natrium-22 – ein Beta-Plus-Strahler mit einer angenehm hand­hab­baren Halb­werts­zeit von 2,6 Jahren.

Mit diesem Aufbau konnten die Forscher alle paar Minuten etwa 90.000 Anti­protonen und drei Millionen Positronen in der Falle zusammen­bringen. Daraus entstanden etwa 50.000 Anti­wasser­stoff-Atome, von denen im Schnitt zehn bis dreißig in der Falle gefangen blieben. Diese kalten Anti­atome wiesen eine Temperatur von etwa einem halben Kelvin auf und ließen sich tage­lang speichern. Auf diese Weise konnten die Forscher inner­halb weniger Stunden hunderte von Anti­wasser­stoff-Atomen für ihre laser­spektro­skopischen Unter­suchungen produ­zieren, so dass sie im Schnitt etwa fünf­hundert Anti­wasser­stoff-Atome für die Messungen zur Verfügung hatten.

Zur Untersuchung der Lamb-Verschiebung beleuchteten die Forscher ihre Probe mit linear polari­sierten Laser­pulsen von 121,6 Nano­metern Wellen­länge. Dabei variierten sie die Wellen­länge schritt­weise über den Bereich, in dem Übergangs­frequenzen zu erwarten waren. Dies bewirkte einen Über­gang des Positrons vom 1S-Grund­zustand zum ange­regten Zustand 2P1/2 oder 2P3/2, und wieder zurück zum Grundzustand. Dabei konnte sich der Spin­zustand umkehren, so dass diese Atome nicht mehr in der Falle gefangen blieben. Ihre Annihi­lation an den Wänden der Falle, bei denen geladene Pionen frei wurden, maßen die Forscher mit Silizium-Vertex-Detektoren. Daraus konnten sie die Übergangs­frequenzen mit hoher Genauig­keit ermitteln und stellten eine – laut dem Standard­modell zu erwartende – praktisch perfekte Über­ein­stimmung mit gewöhn­lichem Wasser­stoff fest.

Die Übergänge zwischen den 1S- und 2P-Zuständen entsprachen mit einer Genauig­keit von 16 zu einer Milliarde gewöhn­lichem Wasser­stoff. Die Fein­struktur-Aufspaltung zwischen 2P1/2 oder 2P3/2 entsprach der erwarteten mit einer Ungenauig­keit von rund einem halben Prozent. Der Mess­fehler bei der Lamb-Verschiebung betrug dabei entweder 11 Prozent oder nur 3,3 Prozent – je nachdem, ob man bei der Analyse die Werte der Fein­struktur-Aufspaltung bei gewöhn­lichem Wasser­stoff nutzt oder nicht.

Die große Überraschung blieb also aus. Dafür zeigt diese Arbeit einen wichtigen Weg auf, wie man noch weitere Eigen­schaften von Antimaterie auf die Probe stellen kann. In Zukunft werden nun nicht nur noch präzisere Messungen an diesen funda­mentalen Über­gängen statt­finden. Auch das Anti­proton selbst dürfte stärker in den Fokus rücken.

Dirk Eidemüller

Weitere Infos

Weitere Beiträge

RK

 

Sonderhefte

Physics' Best und Best of
Sonderausgaben

Physics' Best und Best of

Die Sonder­ausgaben präsentieren kompakt und übersichtlich neue Produkt­informationen und ihre Anwendungen und bieten für Nutzer wie Unternehmen ein zusätzliches Forum.

Weiterbildung

Weiterbildungen im Bereich Quantentechnologie
TUM INSTITUTE FOR LIFELONG LEARNING

Weiterbildungen im Bereich Quantentechnologie

Vom eintägigen Überblickskurs bis hin zum Deep Dive in die Technologie: für Fach- & Führungskräfte unterschiedlichster Branchen.

Meist gelesen

Themen