20.04.2022

Apollo 16: Die Widerlegung einer Hypothese

Vor 50 Jahren sollte Apollo 16 neue Spuren für Vulkanismus auf dem Mond finden und gab der Forschung stattdessen neue Rätsel auf.

Anfang 1972 interessierte sich die Öffentlichkeit nicht mehr allzu sehr für das Apollo-Programm; ebenso die Politik, die mit Budget-Kürzungen dafür sorgte, dass die geplanten Missionen Apollo 18 bis 20 nicht stattfanden. Das verschaffte bereits Apollo 15 die Beförderung zur „J“-Mission: Das Landeteam konnte drei statt zwei Tage auf dem Mond bleiben, drei Außeneinsätze absolvieren und dafür ein Mondauto nutzen.

Apollo hatte seinen politischen Zweck, Amerikas Überlegenheit in der Raumfahrt zu beweisen, erfüllt und stand nun ganz im Dienst der Wissenschaft. Die Wahl der Landestellen unterlag wissenschaftlichen Kriterien. Für Apollo 16 brachten die Geologen den Krater Tycho ins Spiel, der mit seinem spektakulären Strahlensystem auch mit bloßem Auge zu erkennen ist. Die Missionsleitung wandte aber ein, dass eine Reise zu einem Ziel so weit südlich vom Mondäquator zu viel Energie benötigen würde.

Die Wahl fiel schließlich auf das ebenso vielversprechende Hochland beim Krater Descartes. Anhand der Auswertung der Fotos von früheren Missionen erwarteten die Geologen zum einen Details über die Entwicklung des Mondes vor dem Imbrium-Einschlag vor 3,9 Milliarden Jahren zu gewinnen. Zum anderen gab es Hinweise, dass dort auch Spuren von Vulkanismus zu finden sein sollten, die Erkenntnisse über das Mondinnere liefern konnten, insbesondere zu der Frage nach einem aktiven flüssigen Kern.

Die Mannschaft von Apollo 16 hatte sich für ihre Mission einem ausgiebigen geologischen Training unterzogen, mit dem Ehrgeiz, den Erfolg von Apollo 15 zu wiederholen oder sogar zu übertreffen. Kommandant war der erfahrene Astronaut John Young, der bereits mit Apollo 10 als Generalprobe für Apollo 11 den Mond umrundet und davor bei zwei Gemini-Missionen sein Können unter Beweis gestellt hatte. Charles Duke, der Kommandant der Landefähre, und Ken Mattingly, der den Mond in der Apollo-Kapsel umrunden sollte, absolvierten ihren ersten Raumflug. Mattinglys Einsatz sollte eigentlich bereits bei Apollo 13 erfolgen, doch kurz vor Start ersetzte ihn Jack Swigert: Charles Duke hatte die Röteln bekommen, und Mattingly drohte wegen fehlender Immunität während der Mission zu erkranken.

Vier Tage nach dem Start stiegen John Young und Charlie Duke in die Landefähre Orion und dockten 20 Kilometer über dem Mond ab. Mattingly bemerkte Unregelmäßigkeiten im Ersatz-Regelungssystem des Triebwerks der Apollo-Kapsel. Während einer langwierigen Krisensitzung berieten die Experten im Kontrollzentrum zusammen mit der Crew das weitere Vorgehen. Sollte die Landefähre wieder an die Kapsel ankoppeln, oder konnte der Abstieg zur Mondoberfläche fortgesetzt werden? Nach sechs Stunden setzte sich die Einsicht durch, dass die Störung nicht kritisch sei, und der Landeanflug begann und verlief reibungslos.

Als John Young am 21. April 1972 auf dem Mond stand, gab sein Satz die wissenschaftliche Marschrichtung vor: „Da bist Du also: geheimnisvolles und unbekanntes Descartes. Hochland-Ebenen. Apollo 16 wird Dein Bild verändern.“ Das sollte tatsächlich der Fall sein, vor allem aber widerlegten die Funde bei den Ausflügen mit dem Mond-Rover die Erwartungen der Mondgeologen.

Doch zunächst installierten die Astronauten die physikalischen Experimente des „Apollo Lunar Surface Experiment Package“, kurz ALSEP. Dieses bestand aus seismischen Experimenten, einem Magnetometer, erstmals einem Teleskop für Messungen im Ultravioletten und einem Wärmeflussexperiment, für das Duke eine Sonde einen Meter tief in den Boden bohren musste. Young verwickelte sich jedoch mit dem Fuß in das Kabel und riss es heraus. Der Zeitverlust im Orbit vereitelte letztlich einen Reparaturversuch.

Die „Beutezüge“ führten unter anderem zum größten Steinbrocken aller Apollo-Missionen, der 11,7 Kilogramm auf die Waage brachte und „Big Muley“ nach dem Chef-Geologen Bill Muehlberger getauft wurde. Doch die meisten Funde führten zu langen Gesichtern im Geologenteam auf der Erde. Statt vulkanischer Gesteine fanden sich nur zusammengebackene Trümmerstücke von Meteoriteneinschlägen, sogenannte Brekzien. Duke und Young waren sich der Hoffnungen der Wissenschaftler nur zu bewusst, bewahrten sich aber dank ihres gründlichen Trainings ein unbestechliches Auge. Auch Mattingly konnte sich bei seinen Beobachtungen aus der Umlaufbahn nicht mehr so recht mit einem vulkanischen Ursprung des Descartes-Hochlands anfreunden.

Die Beobachtungen und Funde der Apollo-16-Astronauten widerlegten letztlich die Erwartungen aus der reinen Interpretation von Fotos der Mondoberfläche. Die „Photogeologie“ erwies sich als trügerisch, aber die Mondmission hatte damit einen wichtigen wissenschaftlichen Zweck erfüllt: die Widerlegung einer Hypothese. Stattdessen ergaben sich neue Vermutungen über die Entstehung der Ebenen im Descartes-Hochland. Sie könnten durch das bei einem riesigen Einschlag herausgeschleuderte Material entstanden sein, das bei seiner Landung auf der Oberfläche immer noch so viel Energie besaß, dass es über den Boden raste und diesen gleichzeitig mit Trümmerstücken übersäte und einebnete. Vieles deutet darauf hin, dass die von Apollo 16 erkundeten Ebenen durch den Einschlag entstanden sind, bei dem sich auch das Mare Imbrium vor rund 3,9 Milliarden Jahren gebildet hat.

Bis heute ist die komplexe Entstehungsgeschichte des Descartes-Hochlands nicht zufriedenstellend geklärt und immer noch Gegenstand der Forschung. John Young war stolz darauf, mit den fast 100 Kilogramm Gesteinsproben etwas vom Mond mitgebracht zu haben, an dem die Wissenschaft lange zu knabbern haben würde. Einer der Gesteinsbrocken befindet sich im Rieskratermuseum in Nördlingen.

Ken Mattingly übernahm einen Posten im Entwicklungsprogramm für das Space Shuttle, mit dem er 1982 und 1985 noch weitere Ausflüge ins All unternahm. John Young blieb Astronaut und flog zwei Space-Shuttle-Missionen, darunter diejenige, die Ulf Merbold zum ersten Westdeutschen im Weltraum machte. Young ist der einzige Astronaut, der jeweils zwei Gemini-, Apollo- und Space-Shuttle-Missionen absolviert hat. Nach 42 Jahren im Dienst der NASA ging Young in Ruhestand und gilt bis heute als erfahrenster Astronaut.

Charlie Duke beendete nach Apollo 16 seine Astronautenkarriere, wechselte von der NASA zur US Airforce und machte Ausflüge in die freie Wirtschaft. 1978 fand er zu einem tiefen christlichen Glauben und ist seitdem auch kirchlich aktiv. Er erlebte den wohl gefährlichsten Moment auf dem Mond. In den letzten Minuten des dritten Außenaufenthalts wollte er den Hochsprungrekord für den Mond aufstellen und fiel dabei auf den Rücken: Ein dadurch beschädigter Raumanzug hätte seinen sicheren Tod bedeutet. Doch er landete sicher und konnte unbeschadet die Rückreise zur Erde antreten. Deutschland besuchte er zuletzt 2019 im Technikmuseum Speyer, wo er aus Anlass des 50-jährigen Jubiläums der ersten Mondlandung immer noch quicklebendig von seinen Erfahrungen im Apollo-Programm erzählte.

Alexander Pawlak
 

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