25.10.2022

Asteroid Ryugu stammt vom Rand des Sonnensystems

Eisenisotope deuten auf einen Entstehungsort jenseits der Umlaufbahnen von Jupiter und Saturn hin.

Der erdnahe Asteroid Ryugu ist wahrscheinlich am äußeren Rand des Sonnensystems jenseits der Gasriesen Jupiter und Saturn entstanden. Diesen Schluss legen hochpräzise Messungen nahe, die das Verhältnis verschiedener Eisenisotope in Gesteins­proben von Ryugu bestimmen. Die japanische Raumsonde Hayabusa 2 hatte die Proben entnommen und vor zwei Jahren zurück zur Erde gebracht. Eine internationale Forschergruppe mit Beteiligung des Max-Planck-Instituts für Sonnensystem­forschung (MPS) in Göttingen und der Georg-August-Universität Göttingen berichtet nun von diesen Ergebnissen. Demnach unterscheidet sich die Zutatenliste Ryugus in einem ent­scheidenden Punkt deutlich von der typischer kohlenstoff­reicher Meteorite. Stattdessen deutet alles auf eine enge Verwandtschaft mit einer seltenen Meteoriten­klasse hin, die ebenfalls dem äußeren Sonnensystem zuzuordnen ist.

Abb.: Der erdnahe Asteroid Ryugu erinnert an eine abgerundete Doppelpyramide....
Abb.: Der erdnahe Asteroid Ryugu erinnert an eine abgerundete Doppelpyramide. (Bild: JAXA / U. Tokyo / Kochi U. / Rikkyo U. / Nagoya U. / Chiba Inst. Tech. /Meiji U. / Aizu U. / AIST)

Gerade einmal fünf Gramm Gesteinsmaterial enthielt die Probenkapsel, die am 5. Dezember 2020 nahe der Stadt Woomera im austra­lischen Bundesstaat South Australia niederging. Ihr Absender war die japanische Raumsonde Hayabusa 2. Nachdem die Sonde das Gestein ein Jahr zuvor vom Asteroiden Ryugu eingesammelt hatte, nutzte sie den Vorbeiflug an der Erde, um ihre wertvolle Fracht abzuliefern – bevor sie selbst zur nächsten Asteroiden­begegnung weiterreiste. 2031 soll sie ihr zweites Ziel, den Asteroiden 1998 KY26, passieren.

Die in der Kapsel enthaltenen Gesteins­proben sind erst die zweiten, die jemals von einem Asteroiden zur Erde gebracht wurden. Präzise Messungen, die umfassend Aufschluss über Zusammen­setzung, Beschaffenheit, Herkunft und Entwicklung des kosmischen Brockens geben können, sind nur in irdischen Labors – und nicht etwa an Bord der Raumsonde – möglich. Knapp zwei Jahre nach Eintreffen der Proben auf der Erde liegen erste Ergebnisse vor. Sie bescheinigen den Gesteinsproben unter anderem eine körnige, lockere Struktur, einen Werdegang, bei dem über einen langen Zeitraum Mineralien mit Wasser reagierten, und belegen, dass Ryugu Amino­säuren und andere komplexe organische Moleküle enthält. Zu den vielen offenen Fragen zählt die nach dem Entstehungs­ort Ryugus. Dieser Frage geht die aktuelle Studie nach. 

Der kohlenstoffreiche Asteroid Ryugu, der etwa einen Kilometer im Durchmesser misst und dessen Form an eine abgerundete Doppel­pyramide erinnert, zählt zur Klasse der erdnahen Objekte. Diese Körper ziehen ihre Bahnen in einem ähnlichen Abstand um die Sonne wie die Erde. Forschende gehen jedoch davon aus, dass Asteroiden dieser Art im inneren Sonnen­system lediglich Zugezogene sind und den größten Teil ihres Daseins im Asteroiden­gürtel zwischen den Umlaufbahnen von Mars und Jupiter verbracht haben.

Der eigentliche Geburtsort vieler Körper des Asteroiden­gürtels dürfte noch weiter außen im Sonnensystem liegen. Messungen und Simulationen sprechen dafür, dass kohlenstoff­reiche Asteroiden – ebenso wie die kohlenstoff­reichen Meteoriten, so genannte kohlige Chondrite – ihren Ursprung im äußeren Sonnensystem haben: die meisten von ihnen in der Nähe der Entstehungs­orte von Jupiter und Saturn, einige wenige möglicherweise sogar im Einflussbereich von Uranus und Neptun. Erst das Wachsen der vier Gasriesen wirbelte die Asteroiden dann in den Asteroiden­gürtel. „Alle Unter­suchungen deuten darauf hin, dass Ryugu wie die kohligen Chondrite ein Kind des äußeren Sonnensystems ist“, fasst Timo Hopp von der University of Chicago den bisherigen Kenntnis­stand zusammen. Der Wissenschaftler forscht mittlerweile am MPS. Ob der Entstehungs­ort Ryugus jedoch in der Nähe von Jupiter und Saturn oder noch weiter entfernt von der Sonne zu verorten ist, ließ sich bisher nicht klären.

Zu diesem Zweck wandte sich die Forschergruppe um Hopp den Eisenisotopen in den Gesteinsproben des Asteroiden zu. Als Isotope bezeichnet man Varianten desselben chemischen Elements, wie etwa Eisen, die sich lediglich durch die Anzahl der Neutronen im Kern und damit ihr Gewicht unterscheiden. Wissen­schaftlerinnen und Wissenschaftler gehen davon aus, dass die Isotope bestimmter Elemente in der Geburtsstunde des Sonnensystems nicht gleichmäßig verteilt waren. Je nachdem wo ein Körper entstanden ist, stand somit Baumaterial mit unterschiedlichen Isotopen­verhältnissen zur Verfügung. Diese Verhältnisse enthalten noch heute Informationen über den Entstehungsort eines Körpers.

Für ihre Analysen untersuchten die Forschenden vier Proben des Asteroiden Ryugu sowie zum Vergleich Proben 13 verschiedener Meteoriten, die unterschiedliche Meteoriten­gruppen reprä­sentieren. Die meisten von ihnen sind wie Ryugu kohlenstoff­reich. „Das Verhältnis bestimmter Eisenisotope zueinander ist ein hervorragender Marker, um einige dieser Gruppen nach ihren Entstehungs­orten voneinander zu unterscheiden“, erklärt MPS-Direktor Thorsten Kleine. Nachdem die Gesteinsproben von Ryugu in Japan aufwändig chemisch präpariert wurden, reisten sie nach Chicago. Nach weiteren vorberei­tenden Schritten analysierte Timo Hopp die Proben mit Hilfe eines Multi­kollektor-Plasma-Massen­spektrometers und konnte so Unterschiede in den Mengen­verhältnissen verschiedener Eisenisotope auf wenige Teile pro Million genau bestimmen.

Wie sich zeigte, unterscheiden sich diese Verhältnisse im Fall des Asteroiden Ryugu deutlich von dem der meisten unter­suchten Meteoriten. Lediglich eine Gruppe von Meteoriten bildet eine Ausnahme: die CI-Chondriten, die nach dem tansanischen Fundort ihres bekanntesten Vertreters auch als Meteoriten vom Ivuna-Typ bezeichnet werden. „Es besteht eine auffällige Verwandt­schaft zwischen dem Asteroiden Ryugu und den vergleichs­weise seltenen Meteoriten der CI-Gruppe“, so Hopp. „Unsere Messungen belegen, dass Ryugu und Meteorite des Ivuna-Typs im selben Bereich des frühen Sonnen­systems entstanden sind und dass dieser Bereich nicht mit dem Entstehungsort anderer kohliger Chondrite zusammenfällt“, fügt er hinzu.

„Alles in allem spricht viel dafür, dass wir mit Ryugu und den Meteoriten vom Ivuna-Typ Überbleibsel der frühen Körper gefunden haben, die sich am äußersten Rand des Sonnensystems gebildet haben“, so Andreas Pack von der Abteilung für Geochemie und Isotopen­geologie der Georg-August-Universität Göttingen. Bereits frühere Studien hatten Ähnlichkeiten zwischen dem Asteroiden Ryugu und Meteoriten vom Ivuna-Typ gefunden, etwa in Hinblick auf ihre chemische und minera­logische Zusammensetzung. Auch die Gase, welche die Proben von Ryugu während ihrer Reise zur Erde in der Probenkapsel ausgedünstet haben, deuten auf Gemeinsamkeiten mit diesen exotischen Meteoriten hin.

MPS / JOL

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