Asymmetrische Charm-Quarks
LHCb-Experiment weist erstmals Verletzung der CP-Symmetrie durch Charm-Quarks nach.
Die schwache Kernkraft ist berüchtigt dafür, in Symmetriefragen aus der Reihe zu tanzen. Zwar ist sie um viele Größenordnungen schwächer als die starke Kernkraft und die elektromagnetische Kraft. Aber dennoch kommt ihr eine wichtige Rolle bei der Entstehung aller Materie im Universum zu: Denn die beiden stärkeren Kräfte verhalten sich in Bezug auf die fundamentalen physikalischen Symmetrien exakt spiegelbildlich und können deshalb unter anderem nicht erklären, weshalb unser Universum aus Materie und nicht aus Antimaterie besteht. Nur ein symmetriebrechender Prozess hat den heute vorliegenden Überschuss an normaler Materie erzeugen können. Die schwache Kernkraft liefert ein Erklärungsmodell hierzu, da sie die CP-Symmetrie verletzt, derzufolge sich ein Teilchen wie sein eigenes Antiteilchen im Spiegelbild verhalten sollte. Auf diese Weise können schwache Prozesse zwischen Teilchen und Antiteilchen unterscheiden und zu verschiedenen Produktionsraten beider Arten von Materie führen.
In der Quantenfeldtheorie wird dies durch den Mischwinkel der Cabibbo-Kobayashi-Maskawa-Matrix bei der schwachen Quark-Wechselwirkung beschrieben. Bereits 1964 – nur rund ein Jahr nach ersten theoretischen Arbeiten von Nicola Cabibbo – konnten amerikanische Wissenschaftler mit Hilfe des Alternating Gradient Synchrotron am Brookhaven National Laboratory erstmals eine CP-Verletzung an K-Mesonen (Kaonen) nachweisen, die Strange-Quarks enthielten. Diese Beobachtung war damals sehr überraschend: Eine derartige Symmetrieverletzung ließ sich erst knapp zehn Jahre später theoretisch erklären, als Makoto Kobayashi und Toshihide Maskawa die Konzepte von Cabibbo von zwei auf drei Teilchengenerationen erweitert hatten. Denn erst bei drei Generationen tritt ein irreduzibler komplexer Winkel in dieser Matrix auf, der für die Symmetrieverletzung sorgt. Im Jahr 2001 konnten Forscher der Belle- und Babar-Kollaborationen eine solche CP-Verletzung dann auch an B-Mesonen nachweisen, die Bottom-Quarks enthalten. Nun ist endlich auch das Charm-Quark mit im Bunde: Wie die Wissenschaftler der LHCb-Kollaboration am CERN vermelden, konnten sie in verschiedenen Zerfallskanälen eine CP-Verletzung bei einer bestimmten Art von D-Mesonen beobachten.
Charm-Quarks gehören ebenso wie Strange-Quarks zur zweiten Generation der Elementarteilchen. Nach der Theorie ist bei ihnen der symmetrieverletzende Charakter aber nur schwach ausgeprägt – im Gegensatz zu den deutlich schwereren B-Quarks, die deshalb zu den bevorzugten Testsystemen für derartige exotische Phänomene dienen. Deshalb sind eine gute Statistik und eine starke Unterdrückung des Untergrundes entscheidend, um CP-Verletzung bei Charm-haltigen Prozessen nachweisen zu können.
Bei ihren Experimenten untersuchten die Forscher der LHCb-Kollaboration Proton-Proton-Kollisionen bei einer Schwerpunktsenergie von 13 TeV. Dabei interessierten sie sich vor allem für die Zerfälle von D0-Mesonen in entweder ein K−-Meson und ein K+-Meson oder in je ein positiv und ein negativ geladenes Pion. D-Mesonen enthalten genau ein Charm-Quark. D0-Mesonen bestehen außerdem noch aus einem Anti-Up-Quark, so dass sie elektrisch neutral sind. Dasselbe gilt für Anti-D0-Mesonen, die aus einem Up-Quark und einem Anti-Charm-Quark aufgebaut sind. K-Mesonen bestehen aus einem Up- und einem Anti-Strange-Quark – beziehungsweise den jeweiligen Antiteilchen. Pionen bestehen aus Up- und Anti-Down-Quarks oder deren Antiteilchen. Bei den untersuchten Zerfällen von D0-Mesonen muss also jeweils ein W-Boson über die schwache Wechselwirkung eine Änderung des Quarktyps vermittelt haben. Eine CP-Verletzung führt dabei zu unterschiedlichen Produktionsraten, was sich mit hinreichend hoher Statistik nachweisen lässt.
Nach dem Standardmodell sollte die Asymmetrie im Bereich von 10−4 bis 10−3 liegen. Der gemessene Wert beträgt −1.54×10−3, was am oberen Rand der Erwartungen liegt, aber noch mit dem Standardmodell verträglich ist. Dank der Wahl der Observablen erwies sich die Analyse als sehr robust gegenüber systematischen Effekten. Insgesamt untersuchten die Wissenschaftler 53 Millionen D-Meson-Zerfälle in Kaonen und 17 Millionen Zerfälle in Pionen. Dabei erhielten sie eine statistische Signifikanz von über fünf Sigma.
Wie Analysen gezeigt haben, reicht die CP-Verletzung bei solchen Prozessen aber nicht aus, um die Häufigkeit von Materie gegenüber Antimaterie ausreichend zu erklären. Nun ist diese Asymmetrie bei den negativ geladenen Strange- und Bottom-Quarks stärker ausgeprägt als bei den positiv geladenen Charm- oder Top-Quarks, weshalb sie bei letzteren schwerer zu untersuchen ist. Zugleich sagen etliche über das Standardmodell hinausreichende theoretische Ansätze im positiven Quark-Sektor aber eine stärkere CP-Verletzung als das Standardmodell voraus. Da Top-Quarks zu kurzlebig sind, um Meson-Zustände einnehmen zu können, dürfte die Messung der CP-Verletzung an Charm-Quarks nun großes Interesse unter Teilchenphysikern wecken, diese Zerfälle noch eingehender nach möglicher neuer Physik abzuklopfen.
Dirk Eidemüller
Weitere Infos
- Originalveröffentlichung
R. Aaij et al. (LHCb Collaboration): Observation of CP Violation in Charm Decays, Phys. Rev. Lett. 122, 211803 (2019); DOI: 10.1103/PhysRevLett.122.21180
Weitere Beiträge
- M. Kobayashi & T. Maskawa: CP-violation in the renormalizable theory of weak interaction, Prog. Theor. Phys. 49, 652 (1973); DOI: 10.1143/PTP.49.652
- N. Cabibbo: Unitary Symmetry and Leptonic Decays, Phys. Rev. Lett. 10, 531 (1963); DOI:10.1103/PhysRevLett.10.531
- J. H. Christenson et al.: Evidence for the 2π Decay of the K20 Meson, Phys. Rev. Lett. 13, 138 (1964); DOI: 10.1103/PhysRevLett.13.138
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