10.08.2021 • Atome und Moleküle

Atomare Dynamik der nukleophilen Substitutionsreaktion

Detaillierte Untersuchung der Reaktionsdynamik eines aus neun Atomen bestehenden Komplexes.

Mit Laborexperimenten versucht ein inter­nationales Forscher­team um Roland Wester von der Uni Innsbruck einen neuen Blick auf chemische Reaktionen zu werfen und deren Dynamiken besser zu erfassen. Reaktionen kleiner Moleküle werden heute schon sehr gut verstanden. Sobald mehr als vier Atome involviert sind, wird es sowohl für die Theorie als auch im Experiment schwierig, die Abläufe einer Reaktion im Detail zu beschreiben. Wester und sein Team haben jetzt ein einzigartiges Experiment gebaut, mit dem Moleküle mit Ionen zur Reaktion gebracht und beobachtet werden können. So ist es den Wissen­schaftlern erstmals gelungen, die atomare Dynamik der nukleophilen Substitutions­reaktion exakt zu beschreiben.

Abb.: Die Reaktions­produkte der nukleo­philen Substi­tu­tions­reaktion...
Abb.: Die Reaktions­produkte der nukleo­philen Substi­tu­tions­reaktion zeigen sich links im Bild, jene der Elimi­nie­rungs­reaktion rechts. (Bild: AG Wester, U. Inns­bruck)

Vor einigen Jahren untersuchte die Forschungs­gruppe bereits den Wettstreit zweier chemischer Reaktionen an organischen Verbindungen. In einer Vakuum­kammer brachten die Forscher diese Moleküle mit geladenen Teilchen aus der chemischen Gruppe der Halogene, wie Fluor, Iod oder Chlor, zur Kollision. Dabei zeigte sich erstmals durch direkte Beobachtung, dass bei größeren Molekülen die Eliminierungs­reaktion die Überhand gewinnt und die Substitutions­reaktion irgendwann verschwindet.

Bisher noch nicht bekannt war, was in jenem Größen­bereich passiert, wo beide Reaktionen ähnlich wichtig sind. Um dies zu unter­suchen, waren weitere theoretische Arbeiten notwendig, die in den vergangenen Jahren von Forschern um Gábor Czakó an der Universität in Szeged, Ungarn, geleistet wurden. Sie haben eine Born-Oppen­heimer-Potenzial­fläche errechnet, mit der der Ablauf der chemischen Reaktion eines aus acht Atomen bestehenden Moleküls mit einem Halogen-Ion detailliert beschrieben werden kann. Beachtlich dabei ist, dass die unter­suchte Reaktion in 21 Dimensionen abläuft. Die theoretisch ermittelte Potenzial­land­schaft gibt Auskunft, wie sich die einzelnen Atome während der chemischen Reaktion in diesem hoch­dimen­sionalen Raum bewegen können.

Daraus konnten Eduardo Carrascosa, Jennifer Meyer und Roland Wester von der Uni Innsbruck eine sehr präzise Vorhersage erstellen, in welcher räumlichen Richtung die Reaktions­produkte in ihrem Experiment davon­fliegen werden. Denn sie messen den Winkel und die Geschwin­dig­keit, mit der die Ionen auf einem Detektor auftreffen. „Und unsere Daten zeigen, dass wir genau das gemessen haben, was die Theorie ohne Kenntnis der experi­men­tellen Daten berechnet hat“, so Wester. „Mit so vielen Atomen und damit so hoch­dimen­sional ist das bisher noch nicht gelungen.“

Damit haben die Wissen­schaftler die chemische Reaktion, in der zwei unter­schied­liche Reaktions­mecha­nismen ablaufen, theoretisch und experi­mentell umfassend beschrieben. Mit dieser Arbeit kommen die Physiker hinsicht­lich der Zahl der beteiligten Atome für die detail­lierte Unter­suchung der Reaktions­dynamik in eine Region, die Anwendungen in vielen Bereichen komplexer chemischer Reaktionen ermöglicht.

U. Innsbruck / RK

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