07.01.2010

Atomare Zitterpartie

Die quanten-mechanische Zitterbewegung eines relativistischen Teilchens konnte mit einzelnen Ionen nachgewiesen werden.


Die quantenmechanische Zitterbewegung eines relativistischen Teilchens konnte mit einzelnen Ionen nachgewiesen werden.

Die Quantenphysik hält mit Schrödinger-Katzen und verschränkten Zuständen manche Überraschung bereit, die unser Anschauungsvermögen strapaziert. Doch das Quantenverhalten relativistischer Teilchen, die sich fast mit Lichtgeschwindigkeit bewegen, ist noch seltsamer. Sie können hohe Energiebarrieren mühelos durchqueren, die ein nichtrelativistisches Teilchen praktisch nicht durchtunneln kann. Dieses Kleinsche Paradoxon wird noch übertroffen von der quantenmechanischen Zitterbewegung, die ein kräftefreies relativistisches Teilchen macht. Ihr direkter experimenteller Nachweis steht zwar noch aus, doch jetzt haben Forscher in Österreich diese Bewegung mit einzelnen Ionen simuliert.

Abb.: Blick in die Ionenfalle (Bild: C. Lackner)

Die Zitterbewegung ist eine Konsequenz der Dirac-Gleichung, die das Quantenverhalten von relativistischen Spin-1/2-Teilchen beschreibt. Dabei treten Zustände mit negativer Energie auf, die man als Antiteilchen auffassen kann. Wie Erwin Schrödinger schon 1930 bemerkt hatte, kann das Wellenpaket eines relativistischen Spin-1/2-Teilchens gleichzeitig Wellen mit positiver wie auch solche mit negativer Energie enthalten. Solange diese Wellen, die in entgegengesetzte Richtung laufen, einander räumlich überlappen, können sie miteinander interferieren. Aufgrund dieser Interferenz bewegt sich der Schwerpunkt des Wellenpakets, das sich gemäß der Dirac-Gleichung entwickelt, zitternd längs der klassischen Teilchenbahn.

Die Frequenz der Zitterbewegung eines Teilchens der Masse m beträgt etwa mc2/hquer, ihre Amplitude ist die Compton-Wellenlänge hquer/mc des Teilchens. Für ein freies Elektron ergibt das eine Frequenz von 1021 Hz und eine Amplitude von 10-12 m. Protonen zittern mit einer Amplitude von 10-15 m. Angesichts dieser Zahlenwerte ist es nicht verwunderlich, dass die Zitterbewegung noch nicht experimentell nachgewiesen werden konnte. Doch jetzt haben Forscher um René Gerritsma und Rainer Blatt von der Universität Innsbruck das Verhalten eines relativistischen Teilchens unter der Dirac-Gleichung mit Hilfe einzelner Ionen simuliert und dabei die Zitterbewegung beobachten können.

Abb.: Zunächst zeigt das atomare Wellenpaket neben seiner Bahnbewegung auch eine Zitterbewegung, die jedoch nach etwa 100 µs abklingt. Die Komponenten mit positiver und negativer Energie haben sich dann so weit in entgegengesetzter Richtung bewegt, dass sie nicht mehr überlappen und interferieren können. (Bild: R. Gerritsma et al., Nature)

Die Wissenschaftler griffen auf eine Idee von Lucas Lamata und seinen Kollegen zurück. Sie hatten vorgeschlagen, die vier Komponenten der Dirac-Wellenfunktion eines Spin-1/2-Teilchens mit Hilfe verschiedener Anregungszustände eines Ions nachzubilden. Wird das Ion in einer Falle gehalten und mit abgestimmtem Laserlicht bestrahlt, so kann man erreichen, dass es einer Bewegungsgleichung unterliegt, die mit der Dirac-Gleichung identisch ist. Um die Sache zu vereinfachen, haben die Innsbrucker Experimentatoren die Bewegung des relativistischen Teilchens in einer Raumdimension simuliert. Dazu hielten sie ein Kalzium-40-Ion in einer linearen Paul-Falle fest und wählten zwei atomare Zustände aus, die den Teilchenzuständen mit positiver bzw. negativer Energie entsprachen. Der Spin des Teilchens spielte dabei keine Rolle mehr.

Mit Laserlicht konnte das Ion in eine beliebige Überlagerung der beiden atomaren Zustände gebracht werden. Das entsprach einem Teilchen, dessen Wellenpaket sowohl Beiträge mit positiver als auch solche mit negativer Energie enthielt. Mit leicht verstimmtem Laserlicht konnten die atomaren Zustände an die Schwingungen des Ions in der Paul-Falle gekoppelt werden. Auf diese Weise ließ sich der Term in der Dirac-Gleichung simulieren, der den Impuls des Teilchens mit den Zuständen positiver oder negativer Energie koppelt. In der simulierten Dirac-Gleichung war die „Lichtgeschwindigkeit“ nicht mehr die Vakuumlichtgeschwindigkeit sondern sie hatte einen wesentlich kleineren Wert, der sich anhand der Frequenz und der Intensität des Laserlichts auf einen gewünschten Wert einstellen ließ. Die Masse des Teilchens, die nicht der Ionenmasse entsprach, ließ sich ebenfalls variieren.

Um die Zitterbewegung nachzuweisen, mussten die Forscher die Bewegungen des Ions in der Falle möglichst genau verfolgen. Dazu nutzten sie die Kopplung zwischen den mechanischen Schwingungen des Ions und seinen internen Anregungszuständen aus. Ein Laserpuls wandelte die Schwingungsanregungen in interne Anregungen um, die dann optisch abgefragt wurden. Dabei zeigte es sich, dass sich das Ion in der Falle längs klassischen Bahnen bewegte, dabei jedoch zusätzliche hochfrequente Oszillationen ausführte. Ein direkter Vergleich mit Berechnungen gemäß der Dirac-Gleichung ergab, dass es sich dabei tatsächlich um die langgesuchte Zitterbewegung handelte.

Die Zitterbewegung trat nicht auf, wenn das Ion die Bewegungen eines ultrarelativistischen oder eines nichtrelativistischen Teilchens simulierte. Im ersten Fall ging die Zitterfrequenz gegen 0, im zweiten Fall die Zitteramplitude. Doch die Zitterbewegung des Wellenpakets verschwand auch, sobald dessen Komponenten mit positiver bzw. negativer Energie nicht mehr überlappten. Das konnten die Forscher mit speziell synthetisierten Wellenpaketen eindrucksvoll zeigen. Nach diesem Demonstrationsexperiment ist die Simulation der dreidimensionalen Dirac-Gleichung für ein Teilchen in einem Potential das nächste Ziel der Forscher.

RAINER SCHARF

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