15.04.2015

Atome auf Picokelvin abgekühlt

Neuer Tieftemperaturrekord, erreicht durch Materie­wellen­bündelung.

Die Abkühlung von Materie auf immer tiefere Temperaturen hat grundlegende physikalische Phänomene zutage gefördert, wie die Supraleitung bei einigen Kelvin, die Suprafluidität von Helium-3 bei Millikelvin oder die Bose-Einstein-Kondensation bei Nanokelvin. Jetzt hat man erstmals Atome auf Temperaturen von einigen Zehn Pico­kelvin gebracht.

Mark Kasevich und seine Mitarbeiter an der Stanford University haben den Tief­temperatur­rekord mit Hilfe eines optischen Kühl­verfahrens aufgestellt. Dabei wurde die thermische Bewegung in einer Wolke von 100.000 Rubidium-87-Atomen, die durch teilweise Verdampfung auf 1,6 nK vorgekühlt worden war, durch Bündelung mit „Materie­wellen­linsen“ aus Laser­licht in zwei Raum­richtungen stark verringert. So wurden effektive Temperaturen bis herunter zu 30 pK erreicht.

Abb.: Eine Atomwolke wird zunächst in einer Magnet­falle festgehalten und durch Verdampfen vorge­kühlt. (a) Nach Abschalten der Falle wird die Wolke durch ein Licht­gitter (blau) nach oben geschleu­dert und im freien Fall (b) durch einen Laser­strahl (rot) gebün­delt und dabei gekühlt. Eine CCD-Kamera nimmt ein Bild der herab­gefal­lenen Atom­wolke auf: (c) eine Wolke mit 1,6 nK ohne Bünde­lung, (d) die­selbe Atom­wolke durch einen Laser­strahl refokus­siert. (e) Eine Linse bündelt die Atom­wolke, wobei diese während der Zeit­inter­valle t0 und t1 frei fällt. (T. Kovachy et al. / APS)

Im Einzelnen gingen die Forscher so vor: Zunächst hielten sie die Atomwolke in einer Kombination aus einer magnetischen Quadrupolfalle und einer Time-Orbiting-Potential-Falle mit magnetischen Kräften fest und kühlten sie vor. Dann schalteten sie die Magnet­fallen aus, sodass die Atomwolke expandieren konnte. Außerdem setzten sie die Atome kurz­zeitig einem blau­verstimmten Licht­gitter aus, das sich senkrecht nach oben bewegte und die Atome mitzog und hochschleuderte.

Die Atome wurden in eine 10 m lange Vakuumröhre geschleudert und fielen in ihr nach 2,8 s wieder herab. In der Röhre wurden sie für einige zehn Milli­sekunden von einem senkrecht nach oben gerichteten, rotver­stimmten Laser­strahl mit gaußschem Inten­sitäts­profil getroffen. Dabei wurden die Atome durch optische Dipol­kräfte in Bereiche hoher Licht­intensität gezogen und wie von einer Linse gebündelt. Sie mussten gegen ein harmo­nisches Potential anlaufen, wodurch sich ihre Geschwin­digkeit in der horizontalen x-y-Ebene verringerte. Wie stark sich die Bewegungen der Atome und damit ihre Temperatur verringerten, hing unter anderem davon ab, wie lange sie dem Strahl ausgesetzt waren.

Normalerweise bestimmt man die Temperatur einer Atomwolke, indem man beobachtet, wie schnell sie frei expandiert. Doch bei Picokelvin-Temperaturen würde es mehr 10 s dauern, ehe sich die Größe der Atomwolke merklich ändert. Deshalb haben die Forscher eine andere Mess­methode entwickelt. Sie ließen den bündelnden Laserstrahl so lange auf die schon expandierte Atomwolke wirken, dass sich die verringerten Geschwin­digkeiten der Atome teilweise umkehrten und die Wolke sich in der x-y-Ebene wieder zusammenzog.

Am Ende ihres freien Falls wurde die Atomwolke mit Laserlicht bestrahlt, das die Atome zum Leuchten anregte. Mit CCD-Kameras wurden Bilder von der leuchtende Atomwolke gemacht, aus denen sich die Größe der Wolke bestimmen ließ. Aus der Größe der refokus­sierten Atomwolke konnten die Forscher die durch­schnitt­liche Bewegungs­energie der Atome in der x-y-Ebene ermitteln und daraus die effektive Temperatur der Atomwolke bestimmen, die bei 30 pK lag. Allerdings wurde die Wolke nur transversal, also in der x-y-Ebene gekühlt, während die Temperatur in z-Richtung durch den bündelnden Laserstrahl nicht verringert wurde.

Die Forscher weisen darauf hin, dass man die refokus­sierte Atomwolke ein weiteres Mal nach oben werfen kann, wodurch sich die Dauer des freien Falls der Atome auf 5,1 s verlängern würde. Durch Wiederholung dieser Prozedur ließen sich Fallzeiten von über 10 s erreichen, während denen man bei Temperaturen im Pico­kelvin­bereich Atom­interferenz­experimente mit bisher unerreichbarer Präzision durchführen könnte. Dies ließe sich für extrem empfindliche Sensoren nutzen, die man für den Nachweis von Gravi­tations­wellen, für Präzisions­tests der Allge­meinen Relati­vitäts­theorie oder in der Geodäsie einsetzen könnte.

Zudem kann man mit Atomwolken, die auf einige Picokelvin abgekühlt wurden, auch neue Präzisions­tests der Quanten­mechanik durch­führen. So führen Modifi­zierungen der Quanten­mechanik, mit denen die Dekohärenz einer Superposition von makro­skopisch unterscheid­baren Quanten­zuständen erklärt werden soll, zu geringfügigen spontanen Erwärmungen, die an solchen ultrakalten Atomwolken beobachtbar sein sollten. Die jetzt durchge­führten Experimente haben keine Hinweise auf solche Erwärmungen ergeben.

Kasevich und seine Kollegen wollen die Abkühlung der Atomwolken noch weiter vorantreiben. Dabei wird die erreichbare Grenze durch Heisenbergs Unschärfe­beziehung gesetzt. Für eine 400 μm große Atomwolke wäre eine Minimal­geschwin­digkeit möglich, die unter den gegebenen Bedingungen einer Temperatur von 10 fK entspräche. Wer weiß, welche neuen Quanten­effekte in diesem Grenz­bereich der Temperatur zum Vorschein kommen.

Rainer Scharf

OD

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