Atomen und Elektronen bei der Arbeit zusehen
Schichtkristalle als Grundlage zur Erforschung des Nanokosmos.
Welche Eigenschaften Materialien haben, wird durch ihre atomare Struktur bestimmt. Verändern Atome und Elektronen ihre Anordnung, ändern sich auch die Merkmale eines Materials. Welche komplexen Prozesse dabei ablaufen, untersucht eine Arbeitsgruppe der Uni Kiel anhand des einzigartigen Materials Tantaldisulfid. Auf die Herstellung dieses Schichtkristalls ist die Gruppe spezialisiert, ihre Proben dienen Forschungsteams weltweit als Grundlage für Experimente zu dynamischen Prozessen in Materialien. Gemeinsam mit Forschern anderer Universitäten konnte das Team der Uni Kiel bislang unbekannte Phänomene in der Bewegung von Elektronen und Atomen aufzeigen. Die Ergebnisse der Studien könnten langfristig zum Beispiel darüber Aufschluss geben, wie diese Bewegungen gesteuert und somit Eigenschaften von Materialien gezielt geändert werden könnten.
Abb.: In der ganzen Welt nutzen Wissenschaftler Proben des Tantaldisulfids aus Kiel für ihre Experimente. (Bild: Siekmann, CAU)
„Tantaldisulfid ist ein eigener Nanokosmos, unglaublich reich an quantenphysikalischen Phänomenen“, erklärt Kai Roßnagel von der Uni Kiel und dem DESY. „Das bietet uns schier unerschöpfliche Untersuchungsmöglichkeiten.“ Wird es zum Beispiel gekühlt oder Lichtblitzen ausgesetzt, ordnen sich seine Atome und Elektronen neu an. Das Material wird so vom Stromleiter zum Isolator oder umgekehrt. Mithilfe des Schichtkristalls wollen Roßnagel und seine Kollegen zum einen besser verstehen, wie solche besonderen Materialeigenschaften entstehen. Zum anderen wollen sie herausfinden, wie und wie schnell sich Eigenschaften ändern lassen. Hier kommt ihnen der einfache schichtartige Aufbau des Tantaldisulfids zugute. Er ermöglicht es, quantenphysikalische Phänomene einfacher zu interpretieren. „Tantaldisulfid eignet sich deshalb hervorragend als Referenzmaterial für die Festkörperphysik. Hier gewonnene Erkenntnisse lassen sich auch auf andere Materialien übertragen“, so Roßnagel.
Bei Tantaldisulfid handelt es sich um eine Art Kristall-Sandwich. Zwischen zwei Lagen aus Schwefelatomen befindet sich eine Schicht des metallischen Tantals. Zusammen sind sie gerade einmal einen halben Nanometer dick. Mehrere der dreilagigen Stapel übereinander bilden schließlich den Schichtkristall. In Roßnagels Arbeitsgruppe bündeln sich über 35 Jahre Erfahrung in der Herstellung und Analyse des begehrten Untersuchungsmaterials. Die hochreinen chemischen Ausgangsstoffe Tantal und Schwefel werden in eine Quarzampulle gegeben und ihre beiden Enden anschließend in einem Spezialofen unterschiedlich stark erhitzt. So wachsen in sechs bis acht Wochen die mehrschichtigen Kristalle in der Ampulle heran. In den vergangenen Jahren haben sich die Proben des Kieler Tantaldisulfids zu einem Markenzeichen in der internationalen Nanoforschung entwickelt. Aufgrund ihrer Qualität beziehen Forschungsgruppen weltweit die Kristalle für ihre Experimente aus Kiel.
Abb.: Eine Art Kristall-Sandwich: Zwischen zwei Schichten aus Schwefelatomen (rot) liegt eine Schicht des metallischen Tantals (grau; Bild: M. Kalläne, CAU)
In einer Kooperation mit der Uni Aarhus untersuchten die Wissenschaftler, wie sich Elektronen innerhalb eines Tantaldisulfid-
In einer weiteren Studie mit der Uni Göttingen untersuchten die Wissenschaftler schließlich den Ablauf ultraschneller Strukturumwandlungen in Tantaldisulfid. Dank einer neuen Methode aus Göttingen konnte die atomare Umordnung in Super-
Noch ist Tantaldisulfid ein Material aus der Grundlagenforschung, doch grundsätzlich sind damit neue elektronische Bauteile denkbar. „Letztendlich ist Tantaldisulfid ein Schalter. Eines Tages wäre damit ein ultraschneller Transistor möglich“, so Roßnagel. In Zukunft will er die Prozesse in dem Schichtkristall mit dem Hochleistungsröntgenlaser European XFEL in Echtzeit beobachten. „Mit jeder neuen Messmethode machen wir in dem Material neue Entdeckungen. Hier werden wir den Atomen zusammen mit den Elektronen gewissermaßen live bei der Arbeit zuschauen.“ Als Sprecher eines internationalen Konsortiums leitet Roßnagel zurzeit den Aufbau eines Experiments für ultraschnelle Spektroskopie am European XFEL. Für 2019 sind die ersten Versuche geplant. Sie sollen dazu beitragen, das Verständnis des Nanokosmos entscheidend zu erweitern.
CAU / RK