Auf dem Weg zum neuromorphen Rechnen
Lässt sich die Arbeitsweise effektiver biologischer Neuronen technisch nachbauen?
Wenngleich die internationale Halleiterindustrie bereits die Fertigung mit minimalen Strukturbreiten von 5 nm plant, läuft die Miniaturisierung nach dem Mooreschen Gesetz in eine durch die Physik bestimmte Sättigung. Damit wird auch die Steigerung der Energieeffizienz, die bisher mit der Miniaturisierung einherging, in eine Sättigung laufen.
Wie Tim Molter und Alex Nugent von Knowm Inc. in der aktuellen Ausgabe von Physik in unserer Zeit berichten, hat das biologische Gehirn beispielsweise bei der Mustererkennung inhärente Vorteile, die man in einem Effizienzgewinn von etwa vier Größenordnungen abschätzen kann. Dies ist unter anderem darin begründet, dass die Verarbeitung und Speicherung von Information am gleichen Ort stattfindet und deshalb die Energie des Datentransfers eingespart wird. Schon vor vielen Jahren hat man begonnen, die Arbeitsweise biologischer Neuronen zu erforschen, und man hat versucht, diese technisch nachzuempfinden. Dies ist die Grundlage des neuromorphen Rechnens. Dabei gibt es zwei maßgebliche Stoßrichtungen. Einerseits versucht man zum Beispiel im Human Brain Project das Gehirn immer besser zu verstehen und es nachzubauen. Neben dieser neurowissenschaftlichen Simulation gibt es das Feld der künstlichen neuronalen Netze für vielfältige Einsatzfelder der Mustererkennung.
Im Jahr 1971 schlug Leon Chua Memristoren auf der Basis mathematischer Beziehungen als viertes passives Bauelement neben Widerstand, Kondensator und Spule vor. Aber erst eine deutliche Erweiterung der Definition fünf Jahre später, die Chua memristive Elemente nannte, führte zu einer Vielzahl von technischen Komponenten, die dieser Definition genügten. 2008 machten Stanley Williams und sein Team vom Hewlett-Packard Research Laboratory in Palo Alto auf dieses alte Konzept aufmerksam, indem sie bidirektional schaltende Oxidzellen, sogenannte resistive Schalter, im Rahmen dieser Definition beschrieben haben. Heute wird die Unterscheidung zwischen Memristoren und memristiven Elementen oft nicht mehr gemacht, und die beiden Begriffe werden synonym verwendet.
Das Grundprinzip der bidirektional schaltenden Materialzellen ist bereits seit den 1960er Jahren bekannt, wurde aber über Jahrzehnte hinweg nicht verstanden. Meinem Team und mir gelang es, dieses Prinzip 2006 aufzuklären und auf verschiedene Basistypen von Redox-Prozessen zurückzuführen. Außerdem konnten wir zeigen, dass sich die schaltbare Region auf einen filamentären Bereich von ein bis zwei Nanometer Durchmesser beschränken lässt. Daraus ergibt sich ein enormes Potenzial für die weitere Miniaturisierung von nichtflüchtigen Speicherelementen.
In den letzten Jahren hat man darüber hinaus zunehmend das Potenzial solcher Elemente erkannt, sie als künstliche Synapsen in künftigen künstlichen neuronalen Netzen einzusetzen. Das von Molter und Nugent vorgestellte Konzept des thermodynamischen Rechnens mit Hilfe von kT-Neuronen ist ein neuer Ansatz auf diesem Weg. Für kT-Bits haben die Autoren einen sogenannten Befehlssatz erarbeitet, der die Adaption von Leitwerten beschreibt.
Es ist zweifelhaft, ob die hierfür erforderlichen Auswertungen und Schaltfunktionen durch memristive Zellen allein erfolgen können oder ob nicht weitere (aktive) Schaltungselemente benötigt werden, zum Beispiel klassische Transistoren. Es wird sich in der Praxis zeigen müssen, ob kT-Bits für diese Art Informationsverarbeitung geeignet sind.
Rainer Waser, Forschungszentrum Jülich
Dieses Editorial kommentiert den Artikel von Tim Molter und Alex Nugent. Beide Artikel sind in der aktuellen Ausgabe von Physik in unserer Zeit erschienen.