Auf dem Weg zum Suprakristall
Forscher vereinigen Eigenschaften von Gasen, Kristallen und Supraflüssigkeiten zu einem neuen Materiezustand.
In der Welt der Quantenmechanik ist alles anders. Auf Längenskalen von wenigen Nanometern sind die Bausteine der Materie halb Welle, halb Teilchen und haben nur noch eine gewisse Wahrscheinlichkeit an einem bestimmten Ort zu sein. Diese Effekte lassen sich in ultrakalten verdünnten Gasen beobachten. Hierfür werden Tausende bis Millionen Atome bis auf wenige Milliardstel Grad über dem absoluten Nullpunkt gekühlt. Dann sind die Atome einzeln nicht mehr unterscheidbar, sondern vereinen sich zu einer kollektiven Materiewelle. Dieser seltsame Zustand des Bose-Einstein-Kondensats verleiht dem Atomkollektiv erstaunliche Eigenschaften: Die Materiewelle fließt als Quantenflüssigkeit praktisch ohne innere Reibung und wird deshalb Supraflüssigkeit genannt.
Abb.: Schattenrissaufnahme des Quanten-Ferrofluids im Experiment. Die kristallartige Anordnung der Tröpfchen ähnelt deutlich den regelmäßigen Spitzen im klassischen Ferrofluid (unten), die sich ausbilden, wenn ein Magnetfeld angelegt wird. (Bild: U. Stuttgart)
Einem Forscherteam um Tilman Pfau von der Uni Stuttgart ist es gelungen, eine Supraflüssigkeit aus Dysprosium-Atomen zu erzeugen. Die Wissenschaftler bezeichnen sie als „Quanten-Ferrofluid“, denn sie ist nicht nur suprafluid, sondern zeigt ähnlich wie das in der klassischen Welt bekannte Ferrofluid erstaunliche magnetische Eigenschaften. Ferrofluid besteht aus winzigen Eisenpartikeln, die in Öl oder Wasser gelöst sind. Legt man ein starkes Magnetfeld senkrecht zur Ferrofluid-Oberfläche an, kommt es zur Rosensweig-Instabilität: Die Oberfläche ist nicht mehr glatt, sondern bildet regelmäßige Spitzen aus. Diese Struktur entsteht, da sich die Nord- und Südpole der einzelnen Magnetteilchen anziehen und es energetisch am günstigsten für sie ist, sich entlang der Feldlinien anzuordnen. Im Quanten-Ferrofluid übernimmt die Rolle der Eisenteilchen Dysprosium, das am stärksten magnetische Element im Periodensystem.
Für ihre Untersuchungen haben die Forscher Quanten-Ferrofluide aus 15.000 ultrakalten Dysprosium-Atomen hergestellt. Ähnlich wie bei Ferrofluiden konnten sie geordnete Kristallstrukturen aus mikroskopisch kleinen Tröpfchen beobachten. Die Tröpfchen haben jeweils Ausmaße kleiner als ein Mikrometer und ihre Existenz wurde nach dem bisherigen Kenntnisstand nicht für möglich gehalten. Inzwischen vermuten die Forscher, dass Quantenfluktuationen eine entscheidende Rolle für die Stabilität dieser Quantenmaterie spielen. Diese Quantenfluktuationen ermöglichen einen einzigartigen Materiezustand, in dem scheinbar gegensätzliche Eigenschaften von Gasen, Kristallen und Supraflüssigkeiten verbunden werden können. Diese Verknüpfung könnte ein erster Schritt zu einem Suprakristall sein, ein räumlich geordneter Festkörper mit suprafluiden Eigenschaften.
UiS / RK