Auf der Nanoskala Sektorwände versetzen
Innere Ordnung von Multiferroika sichtbar machen und gezielt zu verändern ermöglicht vielversprechende elektronische Anwendungen.
Manfred Fiebig, Professor für multifunktionale ferroische Materialen an der ETH Zürich, hat sich einer ganz speziellen Klasse von Materialen verschrieben: den Oxiden, und zwar insbesondere solchen mit multiferroischen Eigenschaften – kristalline Materialien, die einerseits magnetisch geordnet sind, gleichzeitig aber auch eine elektrische Ordnung aufweisen. „Weil in multiferroischen Materialen eine magnetische und eine elektrische Ordnung zusammenkommen, sind auch Kreuzkopplungen möglich: Man kann zum Beispiel den magnetischen Zustand mit einer elektrischen Spannung ändern“, erklärt Fiebig. Diese Eigenschaften machen die Materialen auch für viele Anwendungen interessant und sind der Hauptgrund, warum Multiferroika derzeit von der Wissenschaft so intensiv erforscht werden.
Abb.: Strontiummanganit ist ein Multiferroikum, das in einer dünnen Kristallschicht vorliegt. In dieser vergrößerten Aufnahme sind die einzelnen Domänen sichtbar, die nur rund 100 nm breit sind. (Bild: C. Becher et al. / NPG)
Gemeinsam mit Forscherkollegen hat Fiebig die Domänengrenzen in bestimmten Multiferroika genau untersucht und dieser Tage dazu zwei Fachartikel veröffentlicht. Darin konnten die Wissenschaftler zeigen, dass sich die elektrische Leitfähigkeit der Domänenwände von jener des Materials als Ganzes unterscheidet. In einem Material, Strontiummanganit, konnten sie zeigen, dass Domänenwände elektrischen Stromfluss unterdrücken. „Ein Material mit nicht-leitenden Wänden in einer leitenden Umgebung kann in der Elektronik sehr nützlich sein“, so Fiebig. Denkbar wäre beispielsweise, damit elektronische Bauteile herzustellen, in denen die nanometergroßen Domänen als winzige Kondensatoren wirken, die man getrennt voneinander elektrisch aufladen kann.
„So könnte man ein neues ladungsbasiertes Speichermedium schaffen“, sagt Fiebig. Um in einer Domäne die Ladung zu ändern, benötige man nur einen Spannungspuls, es müsse dazu kein Strom fließen. Ein solches Speichermedium wäre im Vergleich zu heutigen energieeffizienter. Zudem entstünde bei der Datenspeicherung keine Wärme, die man abführen müsse, weshalb man solche Speichermedien sehr viel kleiner bauen könnte.
Die Studie führten Wissenschaftler aus Fiebigs Gruppe gemeinsam mit Kollegen aus der Gruppe von ETH-Professorin Nicola Spaldin sowie der Universität Saragossa durch. Spaldin und ihre Mitarbeiter trugen die theoretische Erklärung bei, warum in Strontiummanganit die Domänenwände nicht leiten. Fiebig erklärt es so: Kristalline Materialien seien niemals perfekt aufgebaut. An bestimmten Stellen im Kristallgitter der Oxide würden einzelne Sauerstoffatome fehlen. Die Wissenschaftler konnten nun zeigen, dass sich solche Sauerstoff-Lücken mit Vorliebe an den Domänengrenzen ansammelten und dort den Stromfluss blockierten.
In Untersuchungen an einem zweiten multiferroischen Material, Terbiummanganit, konnten Wissenschaftler aus Fiebigs Gruppe gemeinsam mit Kollegen aus Japan zeigen, dass sich die Domänengrenzen mit elektrischen Feldern unter bestimmten Bedingungen auch verschieben lassen. „Dies ist ein Vorteil gegenüber herkömmlichen Halbleitermaterialien, die eine gewachsene, feste Struktur haben“, so Fiebig. Außerdem fanden die Forschenden in diesem Material Bedingungen, unter denen sich die Magnetisierung der Domänen sowie die Leitfähigkeit der Domänengrenzen ändern lassen, ohne dabei die Position der Grenzen zu ändern.
Voraussetzung für diese Untersuchungen ist eine Technik, mit der man die Domänen und deren Grenzen überhaupt sichtbar machen kann. Dies ist derzeit einzig mit einer bestimmten optischen Methode, der Frequenzverdopplung, möglich. Dazu bestrahlt man das Material mit einem sehr intensiven, gepulsten Laserstrahl einer bestimmten Farbe. Als Reaktion darauf sendet das Material andersfarbiges Licht aus, woraus die Wissenschaftler Informationen über die magnetische und elektrische Struktur des Materials gewinnen können. ETH-Professor Fiebig war in den vergangenen Jahren die treibende Kraft hinter der Entwicklung, diese optische Methode zur Untersuchung der inneren Ordnung von Materialien zu nutzen.
Dass es nun in einem Multiferroikum möglich ist, die Domänenwände nicht nur zu sehen, sondern sie auch gezielt zu verschieben oder ihre Leitfähigkeit zu verändern, öffnet die Türen für neue technische Möglichkeiten. Konkrete Anwendungen lägen zwar noch in der Ferne, stellt Fiebig klar. Doch die Erkenntnisse könnten später nicht nur in Datenspeicher, sondern auch in Sensoren oder komplexe elektronische Bauteile fließen. „Wenn man in einem Material die Leitfähigkeit verändern kann, hat man einen Schalter – in unserem Fall einen, den man steuern kann, ohne etwas mechanisch zu bewegen, und der somit nicht anfällig ist auf Materialermüdung“, sagt Fiebig und denkt derweil schon an den nächsten Entwicklungsschritt: Im Moment könne man in Multiferroika einen magnetischen Zustand mit einem elektrischen Feld verändern. In Zukunft sei es vielleicht sogar möglich, auf das elektrische Feld zu verzichten und den Zustand rein optisch zu schalten. Dies, indem man mit den intensiven Lichtpulsen nicht nur die innere Struktur sichtbar macht, sondern sie damit gleich verändert.
ETHZ / OD