Aufbruch in die Terra incognita
Wie rechnet ein Quantencomputer, und wohin steuert dessen Entwicklung?
Der Legende nach gewährte der indische Herrscher Shihram dem Erfinder des Schachspiels einen Wunsch: auf das erste Feld des Schachbretts ein Korn Reis, auf das zweite das Doppelte und immer so weiter bis zum 64sten Feld. Dieser Wunsch war unerfüllbar, denn man bräuchte mehr als das 1000-Fache der aktuellen Weltproduktion für die nötige Menge von 18 Trillionen Reiskörnern.
In einem quantenmechanisch arbeitenden Prozessor werden Qubits gespeichert und verarbeitet. Jedes Qubit kann – ganz anders als ein klassisches Bit – in einem Überlagerungszustand von logisch-0 und logisch-1 vorliegen, hat also zwei Möglichkeiten. Bei zwei Qubits ergeben sich schon vier Möglichkeiten 00, 01, 10 und 11, und die Anzahl der Möglichkeiten und damit die Rechenleistung würde mit der Zahl von Qubits in der gleichen Weise wie die Reiskörner auf dem Schachbrett rasch ins Unvorstellbare wachsen. Wird dieser Wunsch realisiert werden?
Als der russische Mathematiker Yuri Manin und der amerikanische Physiker Richard Feynman sich 1980 erste theoretische Überlegungen zum Rechnen mit quantenmechanischen Überlagerungszuständen machten, dachte noch niemand an eine konkrete Umsetzung. Erst Ende der 1990er Jahre konnten Experimente die grundsätzliche Funktionalität von einfachsten Rechenoperationen mit Qubits eindrucksvoll darstellen.
Bespiele sind die logische Verknüpfung von zwei Qubits oder die neuartige Weise zur Übertragung von Qubit-Information, die als Teleportation berühmt wurde. Dabei wurden einzelne gespeicherte kalte Ionen verwendet (Abbildung 1), wie es Norbert Linke und Markus Müller von der TU Dresden in der aktuellen Ausgabe von Physik in unserer Zeit beschreiben, aber auch supraleitende Schaltkreise, Photonenpaare oder kalte Atome wurden und werden in Überlagerungszuständen als physikalische Speicher für Qubits benutzt.
Obwohl sich Forschungslabors weltweit um eine Skalierbarkeit der Quantenprozessoren hin zu hohen Zahlen von Qubits bemühen, stört dabei deren Fragilität. Denn Überlagerungszustände in einem großen Qubit-Rechenregister werden durch jede kleinste Störung verändert. Ganz und gar zerstörerisch wirkt es, wenn das Register auch nur im Geringsten an die Außenwelt koppelt. Hier zeigt sich einmal mehr die starke Verbindung der Quantenphysik mit der Informationstheorie. Schon wenn es im Prinzip möglich wäre, den Zustand einer Überlagerung zu bestimmen, wird diese bereits vollständig zerstört. Nur bei sehr gut beschützen Qubit-Registern bleibt es bei der Vielzahl unterschiedlicher Möglichkeiten, die alle gleichzeitig in einem quantenmechanischen Rechenregister bestehen können. Die Herausforderungen an den Bau eines anwendbaren Quantencomputers sind daher enorm.
So wie in unserem einleitenden Beispiel verdoppelt sich bei jedem einzelnen hinzugefügten Qubit die Menge an Zahlen, die ein Quantencomputer verarbeiten kann. Daher ist es klar absehbar, dass solch eine Rechenmaschine einen herkömmlichen Hochleistungsrechner bei speziellen Aufgaben sehr effizient unterstützen werden kann.
Ein zukünftiger Quantenrechner könnte die Struktur von großen Molekülen und biochemische Reaktionen berechnen, um zum Beispiel die Wirksamkeit von Medikamenten vorauszusagen, oder er könnte helfen, katalytische Prozesse zu optimieren. Die Berechnung von RSA-Codes für die Datenverschlüsselung und das Knacken dieser gehören zwar prinzipiell auch zu der Klasse von Aufgaben, die solch ein Rechner übernehmen könnte. Diese Gefahr droht uns aber nach allem Ermessen noch lange nicht, weil alle heute verfügbaren Quantenprozessoren noch sehr weit von der dafür nötigen Zahl von Qubits entfernt sind. Solche neuartigen Möglichkeiten eines Quantenrechners sind es, für die sich nun – vierzig Jahre nach den ersten Ideen – auch verschiedene internationale Firmen positionieren.
In der Physik zählt vielleicht noch mehr die Faszination zu sehen, wie innig unsere physikalische Welt mit der mathematischen Welt der Information verbunden ist. Die Quantenphysik erlaubt uns dabei den Eintritt in ein bisher unbekanntes Land der fast unendlich komplexen Verknüpfungen und Möglichkeiten. Wie bei der Entdeckung eines neuen Kontinents sollten wir hier darauf gefasst sein, dass die wichtigsten Anwendungen durchaus aus unerwarteter Richtung kommen können.
Ferdinand Schmidt-Kaler, Universität Mainz
Originalveröffentlichungen
N. Linke, M. Müller, Mit Ionen ist zu rechnen, Phys. Unserer Zeit 51(4), 168 (2020); https://doi.org/10.1002/piuz.202001571