12.07.2018

Aufsteh-Molekülchen

Hauchdünnes Molekül lässt sich aufrecht und stabil auf Silber-Oberfläche anbringen.

Schon seit einiger Zeit sind Forscher in der Lage, Strukturen aus einzelnen Atomen zu erzeugen. Eines der ersten Beispiele präsentierten D. M. Eigler und E. K. Schweizer im Jahr 1990: ein winziges Logo von IBM, das von einigen wenigen Xenon­atomen gebildet wird, hergestellt mit Hilfe eines Raster­sonden­mikroskops. Doch auch heute, fast dreißig Jahre später, ist man von einer direkten Herstellung von Nano­strukturen aus komplexen Molekülen immer noch weit entfernt.

Abb.: Aufrecht stehendes PTCDA-Molekül auf dem Silberpodest (links); normalerweise lagert sich das Molekül flach an die Silberschicht an (rechts). (Bild: FZJ / T. Esat)

Obwohl Moleküle viel größer sind als Atome, sind sie dennoch viel schwieriger zu kontrollieren. „Bei Atomen spielt die Ausrichtung keine Rolle. Aber Moleküle haben eine bestimmte räumliche Struktur. Es kommt zum Beispiel darauf an, in welcher Lage sie auf einer Ober­fläche oder an der Mikroskop­spitze haften, die die Ausdehnung des Moleküls um viele Größen­ordnungen übersteigt“, erklärt Stefan Tautz, Instituts­leiter am Forschungs­zentrum Jülich.

Nun stellt die Arbeitsgruppe um Ruslan Temirov am Institut von Stefan Tautz ein Experiment vor, mit dem es ihnen erst­mals gelungen ist, ein plättchen­förmiges PTCDA-Molekül nach ihren Wünschen aus­zurichten. Das Molekül gleicht in seinem Aufbau dem Nano­material Graphen, das eben­falls aus einer Schicht miteinander verbundener Kohlen­stoff­ringe aufgebaut ist. Die Forscher haben zwei Silber­atome mit der Spitze eines Raster­sonden­mikroskops an die Ecken des PTCDA-Molekül angeheftet. Dann brachten sie es auf diesem winzigen „Silber­podest“ zum Stehen.

„Bis jetzt dachte man, dass das Molekül von selbst wieder in seine Lieblings­position zurück­fällt und sich flach an die untere Schicht anlagert. Aber das ist nicht der Fall, es verhält sich erstaunlich stabil in der aufrechten Orientierung. Selbst wenn man es mit der Mikroskop­spitze anschubst, fällt es nicht um, sondern schwingt einfach wieder zurück. Bis jetzt können wir über den Grund nur spekulieren“, berichtet Taner Esat.

Die Arbeit gilt den Autoren zufolge als wichtiger Schritt für die Entwicklung neuer, innovativer Produktions­techniken mit einzelnen Molekülen. Menschen haben im Laufe der Geschichte gelernt, die Welt auf immer kleineren Skalen zu kontrollieren. Als ultimatives Ziel gilt die Fertigung beliebiger molekularer Architekturen. Dabei würden Nano­strukturen direkt aus einzelnen Molekülen zusammen­gesetzt, ähnlich wie mit Lego. Die Anwendungs­möglichkeiten wären praktisch unbegrenzt. Insbesondere in der Nano­elektronik ergäben sich so völlig neue Möglich­keiten, Logik-, Speicher-, Sensor- und Verstärker­schaltungen zu realisieren.

„In der makroskopischen Welt sind die industriellen Produktions­prozesse schon sehr ausgereift. Im Kleinen klappt das aber noch nicht so gut. Da ist die Natur viel weiter“, erklärt Stefan Tautz. In lebenden Zellen formieren sich Moleküle nach dem Mechanismus der Selbst-Assemblierung so, wie es ihre molekularen Eigenschaften vorgeben. Das Ziel der Forscher am Jülicher Peter-Grünberg-Institut (PGI-3) geht aber noch darüber hinaus. Mit ihrer Forschung streben sie eine Technologie an, mittels derer sich Moleküle nicht nur auf wenige vorbestimmte Arten anordnen, sondern mit denen sich Strukturen auf der Nano­skala frei konstruieren und erschaffen lassen.

„So wie sich in der Natur Autos, Computer, Häuser und solche Dinge nicht spontan bilden, sondern durch Hand­arbeit oder Maschinen geschaffen werden müssen, haben wir mit unserem Experiment in Hand­arbeit auf molekularer Ebene einen künstlichen meta­stabilen Zustand hergestellt, der dazu noch über eine bestimmte Funktionalität verfügt“, erläutert Stefan Tautz.

Die Forscher verwendeten das aufrechte Molekül bereits erfolgreich als Elektronen­quelle, die einzelne Elektronen aussendet. Bei einer solchen Einzel­elektronen-Quelle ist die Wellen­funktion der Elektronen durch die chemischen Eigenschaften des Moleküls genau vorgegeben. Derartige Quellen könnten beispielsweise für Anwendungen in der Holo­grafie zum Einsatz kommen, die den Wellen­charakter der ausgestrahlten Elektronen für räumliche Darstellungen und Aufnahmen nutzen. Aufgrund solcher und anderer Experimente hoffen die Forscher nun auf ein produktives Wechsel­spiel zwischen der Herstellung ungewöhnlicher Strukturen und neuen Funktionalitäten.

Dem aktuellen Forschungsergebnis gingen mehrere Vorarbeiten voraus. Bereits in den letzten Jahren ist es Jülicher Forschern zum Beispiel gelungen, mit einer selbst entwickelten Hand­steuerung für Raster­sonden­mikroskope einzelne Moleküle aus Blöcken und Schichten heraus­zupflücken. Die Arbeits­gruppe um Ruslan Temirov arbeitet zudem daran, den Kontrast und die Auflösung der Mikroskope mithilfe einzelner Atome und Moleküle als Sonden zu verbessern. Dazu werden einzelne Moleküle oder Atome als Sensor an die Spitze des Mikroskops geheftet. Diese ermöglichen es dann, Strukturen und sogar elektrische Felder deutlich besser aufgelöst abzutasten, als es mit einer konventionellen metallischen Spitze möglich ist.

FZJ / DE

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