20.05.2020 • Energie

Bakterien arbeiten für die Energiewende

Cyanobakterien produzieren photosynthetischen Wasserstoff.

Die Umstellung von der Nutzung fossiler Brennstoffe hin zu einer erneuerbaren Energieversorgung ist eine der wichtigsten weltweiten Herausforderungen des 21. Jahrhunderts. Um das international vereinbarte Ziel der Begrenzung der Erderwärmung auf maximal 1,5 Grad zu erreichen, muss die internationale Staaten­gemeinschaft gemeinsam den globalen CO2-Ausstoss drastisch reduzieren. Obwohl Deutschland bei dieser Energiewende lange als Vorreiter galt, ist eine weitreichende Umstellung der Energiewirtschaft auf erneuerbare Energien auch hierzulande noch ein Zukunfts­szenario. Als viel­versprechender, da potenziell klima­neutraler Energieträger könnte Wasserstoff dabei künftig eine bedeutende Rolle spielen. In Brennstoff­zellen genutzt liefert er Energie für diverse Anwendungen und bringt als Abfallprodukt nur Wasser hervor. 
 

Abb.: Gemeinsam mit Jens Appel, Vanessa Hüren und Marko Böhm (v. l. n. r.)...
Abb.: Gemeinsam mit Jens Appel, Vanessa Hüren und Marko Böhm (v. l. n. r.) erforscht Kirstin Gutekunst, wie sich Cyano­bakterien zur Produktion solaren Wasser­stoffs einsetzen lassen. (Bild: S. Hildebrandt)

Derzeit wird Wasserstoff vor allem aus der Elektrolyse von Wasser gewonnen. Dieses Verfahren erfordert zunächst den Einsatz von Energie, bislang zumeist aus fossilen Quellen. Eine klimaneutrale Wasserstoff­wirtschaft dagegen, also die Nutzung von grünem Wasserstoff, erfordert, dass zur Erzeugung des Rohstoffes ausschließlich regenerative Energie genutzt wird. Eine solche nachhaltige Energiequelle versuchen Forscher zum Beispiel mittels der Photosynthese zu erschließen. Seit jeher versorgt die Photosynthese uns Menschen mit Energie aus Sonnenlicht, entweder in Form von Nahrung oder als fossiler Brennstoff. In beiden Fällen ist die Sonnenenergie zunächst in Kohlenstoffverbindungen wie zum Beispiel Zucker gespeichert. Wenn diese Kohlenstoff­verbindungen genutzt werden, entsteht zwangsläufig CO2. Die photo­synthetische CO2-Fixierung wird dabei quasi rückgängig gemacht, um die Sonnenenergie aus den Kohlenstoff­verbindungen zurückzugewinnen.

An der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel (CAU) erforscht die Nachwuchs­gruppe „Bioenergetik in Photo­autotrophen“ am botanischen Institut von Kirstin Gutekunst, assoziiert an Rüdiger Schulz, wie man bei der Energiegewinnung diesen Kohlenstoffzyklus und die damit einhergehenden CO2-Emissionen vermeiden kann. „Dazu kommt insbesondere die Speicherung von Sonnen­energie direkt in Form von Wasserstoff infrage – dabei entsteht kein CO2 und der Wirkungsgrad ist durch die direkte Umwandlung sehr groß“, erklärt Gutekunst ihren Forschungsansatz. Sie untersucht mit ihrem Team dazu ein bestimmtes Cyanobakterium: Über die Photosynthese kann es für wenige Minuten solaren Wasserstoff produzieren, den die Zelle jedoch im Anschluss direkt wieder verbraucht. 

In einer aktuellen Arbeit beschreiben die Kieler Forscher, wie sich dieser Mechanismus möglicherweise in Zukunft für biotechnologische Anwendungen nutzen lässt: Sie konnten ein bestimmtes Enzym der lebendigen Cyanobakterien, eine Hydrogenase, so an die Photosynthese koppeln, dass das Bakterium über lange Zeiträume solaren Wasserstoff produziert und nicht wieder verbraucht. 

Ebenso wie sämtliche Grünpflanzen sind auch Cyanobakterien in der Lage, Photosynthese zu betreiben. In der Photosynthese wird Sonnen­energie genutzt, um Wasser zu spalten und die Sonnenenergie chemisch zu speichern – vor allem in Form von Zucker. In diesem Prozess durchlaufen Elektronen sogenannte Photosysteme, in denen sie in einer Kaskade von Reaktionen schließlich den universellen Energieträger Adenosin­triphosphat (ATP) sowie Reduktions­äquivalente (NADPH) hervorbringen. ATP und NADPH werden anschließend benötigt, um CO2 zu fixieren und Zucker zu produzieren. Die für die Wasserstoffproduktion benötigten Elektronen sind also normalerweise Teil von Stoffwechsel­prozessen, die den Cyanobakterien gespeicherte Energie in Form von Zucker zur Verfügung stellen. Das Kieler Forschungsteam hat einen Ansatz entwickelt, um diese Elektronen umzuleiten und den Stoffwechsel der lebendigen Organismen primär zur Herstellung von Wasserstoff anzuregen.

„Das von uns untersuchte Cyanobakterium nutzt ein Enzym, die Hydrogenase, um den Wasserstoff aus Protonen und Elektronen zu gewinnen“, sagt Gutekunst, die auch Mitglied im CAU-Forschungs­verbund Kiel Plant Center (KPC) ist. „Die Elektronen stammen dabei aus der Photosynthese. Uns ist es gelungen, die Hydrogenase so an das Photosystem I zu fusionieren, dass die Elektronen bevorzugt für die Wasserstoff­produktion genutzt werden, während der normale Stoffwechsel in geringerem Umfang weiterläuft“, so Gutekunst weiter. Auf diesem Weg stellt das veränderte Cyanobakterium deutlich mehr solaren Wasserstoff her als in bisherigen Experimenten.

Ähnliche Ansätze zur Wasserstoffproduktion mit Fusionen aus Hydrogenase und Photosystem existierten bereits in vitro, also außerhalb von lebenden Zellen im Reagenzglas oder auf Elektroden­oberflächen in photovoltaischen Zellen. Problematisch ist dabei allerdings, dass diese künstlichen Ansätze in der Regel kurzlebig sind. Die Fusion aus Hydrogenase und Photosystem muss aufwendig immer wieder neu erstellt werden. Der nun vom CAU-Forschungsteam eingeschlagene Weg hat dagegen den großen Vorteil, potenziell unbegrenzt zu funktionieren. „Der Stoffwechsel der lebenden Cyanobakterien repariert und vervielfältigt die Fusion aus Hydrogenase und Photosystem und gibt sie bei der Teilung an neue Zellen weiter, so dass der Prozess im Prinzip dauerhaft ablaufen kann“, betont Projektleiterin Gutekunst. „Mit unserem in vivo Ansatz ist es erstmals gelungen, eine solare Wasserstoff­produktion über eine Fusion aus Hydrogenase und Photosystem in der lebenden Zelle zu realisieren“, so Gutekunst weiter.

Eine Herausforderung besteht im Moment noch darin, dass die Hydrogenase in Anwesenheit von Sauerstoff deaktiviert wird. Die in den lebendigen Zellen weiterhin ablaufende normale Photosynthese, bei der im Zuge der Wasser­spaltung auch Sauerstoff entsteht, hemmt also die Wasserstoff­produktion. Um den Sauerstoff zu entfernen beziehungsweise dessen Entstehung zu minimieren, werden die Cyanobakterien für die Wasserstoff­produktion momentan teilweise auf die anoxygene Photo­synthese umgestellt. Sie basiert jedoch nicht auf Wasser­spaltung. Zurzeit stammen die Elektronen für die Wasserstoffproduktion daher teilweise aus der Wasserspaltung und teilweise aus anderen Quellen. Langfristiges Ziel des Kieler Forschungsteams ist es aber, ausschließlich Elektronen aus der Wasser­spaltung für die Wasserstoff­gewinnung zu nutzen.

Der neue In-vivo-Ansatz bietet insgesamt eine viel­versprechende neue Perspektive, um die photo­synthetische Wasser­spaltung zur Produktion von klima­neutralem, grünen Wasserstoff zu etablieren und so die nachhaltige Energie­gewinnung voranzubringen. Die weitere Erforschung der Stoff­wechsel­wege von Cyanobakterien in Gutekunsts Gruppe soll mittelfristig insbesondere den Wirkungsgrad der solaren Wasserstoff­produktion weiter steigern. „Die Arbeiten unserer Kollegin sind ein ausgezeichnetes Beispiel dafür, wie die Grundlagen­forschung an Pflanzen und Mikroorganismen zur Lösung gesellschaftlicher Herausforderungen beitragen kann“, betont KPC-Sprecherin Professorin Eva Stukenbrock. „Damit leisten wir in Kiel einen wichtigen Beitrag dazu, eine nachhaltige Wasser­stoff­wirtschaft als echte Alternative für eine sichere Energie­versorgung der Zukunft zu entwickeln“, so Stukenbrock weiter.

CAU / DE
 

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