Bakterien mit Mikro-Optik
Cyanobakterien bündeln Lichtstrahlen – und lenken damit ihre Bewegung.
Licht ist als zentrale Energiequelle für Cyanobakterien überlebenswichtig. Obwohl sie nur aus einer einzigen Zelle bestehen, sind sie in der Lage, direkt und präzise auf eine Lichtquelle zuzuströmen. Doch wie genau die Bakterien Licht wahrnehmen, war bislang ein Rätsel. Wie ein internationales Forscherteam hat jetzt herausgefunden hat, funktionieren Cyanobakterien wie winzige Linsenaugen, können so die Lichtrichtung wahrnehmen und darauf reagieren.
Abb.: Augapfel im Mini-Format: Das Modell eines Cyanobakteriums zeigt, wie das Licht auf dem Weg durch die Zelle in einem Punkt gebündelt wird. (Bild: R. Kampmann, KIT)
„Unsere Zusammenarbeit begann bei einem Mittagessen in Freiburg“, erinnert sich Jan Gerrit Korvink vom Karlsruher Institut für Technologie. „Conrad Mullinieux von der Queen Mary University of London besuchte gerade die Arbeitsgruppe um Annegret Wilde an der Uni Freiburg und fragte mich, ob ich einen Weg wüsste, den Brechungsindex eines winzigen Bakteriums zu messen. Zunächst musste ich Mullinieux enttäuschen: Bakterien mit einem Durchmesser von drei Mikrometern sind so klein, dass schlicht geeignete Geräte fehlen, um so eine Messung vorzunehmen. Doch die Frage ließ mir keine Ruhe. Und schließlich kam mir eine Idee.“
Korvink und sein Teams am KIT beschichteten eine flache, etwa zehn Zentimeter durchmessende Scheibe aus Silizium mit einer extrem dünnen Schicht eines Photopolymers, das aushärtet, wenn es ultraviolettem Licht ausgesetzt wird. Dann platzierten sie einige Cyanobakterien auf dem Polymer und ließen UV-Licht auf die Platte fallen. „Überall, wo keine Bakterien platziert waren, fiel das Licht gleichmäßig auf die Scheibe und auch das Polymer härtete gleichmäßig aus. Aber in Bereichen mit Bakterien wurde das Licht gebündelt. Es formte einen konzentrierten Nanojet aus Photonen, so dass das Polymer unterhalb der Bakterien in einem bestimmten Muster aushärtete“, erläutert Korvink.
Im nächsten Schritt fixierten die Forscher das Photopolymer chemisch und bestimmten die Oberflächenstruktur mit einem Rasterkraftmikroskop. So konnten sie genau nachvollziehen, wie die Bakterien das Licht gebrochen haben. Anschließend konnten sie mithilfe einer Simulation die genauen Lichtbündelungseigenschaften von Cyanobakterien bestimmen und vorhersagen. In weiteren Untersuchungen konnte das internationale Team bestätigen, dass ein einzelnes Cyanobakterium tatsächlich wie ein winziger Augapfel funktioniert. Das Licht trifft auf die Oberfläche der runden Einzeller, wo es wie durch eine mikroskopisch kleine Linse gebrochen wird. Dadurch entsteht ein Brennpunkt auf der gegenüberliegenden Seite der Zelle. Das aktiviert im Bereich des Lichtpunkts winzige, fadenförmige Fortsätze außerhalb der Zelle, die das Bakterium in Lichtrichtung vorwärtstreiben. „In einer sehr primitiven Form funktionieren die Bakterienzellen wie winzige Augäpfel“, so Korvink. „Möglicherweise war es also das erste Mal in der Evolutionsgeschichte, dass sich mit der Entstehung der frühen Cyanobakterien ein mit dem Linsenauge vergleichbarer Mechanismus zur Lichtwahrnehmung entwickelt hat.“
KIT / RK