11.06.2015

Ballistische Wärmeleitung sichtbar gemacht

Optische Laufzeit-Thermo­rückstrahlungs-Methode offen­bart Phononen­spektrum auf kleinen Skalen.

Für eine ganze Reihe von Anwendungen ist die genaue Kenntnis der Wärme­leitung in Fest­körpern von großer Bedeutung. Nicht nur für die Hersteller von Computer­chips, sondern insbesondere für die in Zukunft sicherlich wichtiger werdenden thermo­elektrischen Elemente und integrierten Nanosysteme sind die thermischen Eigenschaften entscheidende Faktoren. Bislang ist aber noch nicht gut bekannt, wie thermische Transport­phänomene in Festkörpern auf kleinen Skalen vonstatten gehen. Bei einer Energiezufuhr an einer Stelle eines Festkörpers führen Gitterschwingungen zum Temperatur­ausgleich. Diese Phononen zeigen jedoch unter­schiedliches Verhalten: Über größere Distanzen – wesentlich über ihrer mittleren freien Weglänge – werden sie vielfach an Gitterfehlern oder aneinander gestreut, so dass ein Diffusions­verhalten gemäß dem Fourier­schen Gesetz auftritt. Die Wärme­leitung geschieht dann proportional zur Temperatur­differenz.

Abb.: Links ist die hybride Struktur zur lokalen Erwärmung und Temperaturmessung zu sehen, rechts eine Raster­elektronen­mikroskop-Aufnahme einer Material­probe. Der weiße Skalen­balken entspricht einem Mikrometer. (Bild: Y. Hu et al. / NPG)

Auf kleinen räumlichen Skalen unterhalb der mittleren freien Weglänge der Phononen ist jedoch das Fouriersche Gesetz verletzt. Die Gitterschwingungen pflanzen sich dann nicht diffusiv, sondern in gerader Linie balllistisch fort, wobei die Wärmeleitfähigkeit zum Teil deutlich geringer ist als im diffusiven Fall. Die Bestimmung des ballistischen Phononen­spektrums ist jedoch schwierig: Streu­experimente mit Neutronen sind aufwändig und weltweit auf wenige Forschungs­einrichtungen beschränkt. Zudem benötigen sie für die Messung möglichst Einkristalle.

Gang Chen und seine Kollegen vom MIT haben deshalb eine neue Methode entwickelt, ballistische Phononen­spektren in unter­schiedlichen Festkörpern zu bestimmen. Das Problem bei derartigen Messungen besteht zunächst darin, dass die mittlere freie Weglänge von Phononen in gängigen Halbleiter­materialien oder Dielektrika nur bei tiefen Temperaturen groß wird. Bei Raum­temperatur liegt die Wellenlänge der Phononen teilweise im Nano­meter­­bereich. Da bei großflächig erhitzten Strukturen diffusive Wärmeleitung auftritt, muss man zum Studium des ballistischen Transports möglichst kleine Flächen unterhalb der freien Weglänge erhitzen. Will man nun etwa mit einem kurzen Laserpuls eine Probe punktgenau erwärmen, um ballistische Phononen anzuregen, so ist durch die Beugungs­grenze des Lasers der zu erwärmende Fleck in der Größen­ordnung von einem Mikrometer und damit für viele Phononen­moden schon etwa um eine Größenordnung zu groß. Denn für viele gängige Materialien besitzt ein großer Teil der Phononen Wellenlängen im Bereich einiger hundert Nanometer.

Die Wissenschaftler haben deshalb mit speziellen Hybrid­strukturen gearbeitet. Anstatt das Laserlicht zu fokussieren, lenkten sie es auf spezielle Aluminium­punkte, deren Größe sie variierten. Das Aluminium nahm die Laserenergie punktuell auf und sorgte für ballistische Phononen. Deren Ausbreitung untersuchten die Forscher ebenfalls per Laserlicht. Die Wissen­schaftler verwendeten für ihre Messungen einen durch­stimmbaren Titan-Saphir-Laser mit zweihundert Femto­sekunden langen Pulsen, den sie in zwei Strahlen aufteilten. Der eine sorgte nach einer Wellenlängen­halbierung auf vierhundert Nanometer für die Heizung. Der andere Strahl lief durch eine einstellbare Verzögerungs­stufe und konnte so den Wärme­transport in der Probe mit kurzem Zeit­versatz auslesen.

Mit dieser Laufzeit-Thermo­rück­strahlungs-Methode (time-domain thermo-reflectance – TDTR) untersuchten die Wissen­schaftler dann verschiedene Materialien. Indem sie die Größe der Aluminium­flecken zwischen dreißig Nanometern und sechzig Mikrometern variierten, konnten sie systematisch die verschiedenen Phononen­moden bestimmen. Dabei zeigte sich, wie stark die Wärmeleitung von der Mischung aus ballis­tischer und diffusiver Phononen­propagation abhing. Je kleiner die Aluminiumflecken waren, desto stärker wurde die Abweichung vom Fourierschen Gesetz.

Die Forscher testeten ihr Verfahren an einer Silizium-Germanium-Legierung, an Galliumarsenid, an Galliumnitrid sowie an Saphir. Die gemessenen Phononen­spektren stimmten gut mit theoretisch erwarteten Werten überein. Bei sehr kleinen Aluminiumflecken unterhalb von hundert Nanometern verringerte sich die Wärmeleitfähigkeit von Silizium oder Gallium­nitrid sogar um bis zu neunzig Prozent im Vergleich zu großflächiger Erhitzung mit diffusiver Wärme­leitung. Und bei einer Silizium-Germanium-Legierung mit nur acht Promille Germanium­anteil etwa sank die Wärmeleitfähigkeit aufgrund der durch das Germanium verursachten Unreinheiten im Kristall­gitter und der dadurch verursachten Streuung auf rund ein Drittel.

Diese weite Spanne an genau einstellbarem Verhalten ist insbesondere deshalb interessant, weil sich auf diese Weise maßgeschneiderte Materialien mit präzise definierten thermischen und thermo­elektrischen Eigenschaften herstellen lassen. So kann man etwa mit Hilfe spezifischer Streuzentren die Weglänge der Phononen beeinflussen. Damit lassen sich zum Beispiel thermo­elektrische Elemente optimieren, die zugleich elektrisch leitend, aber thermisch isolierend sein sollen.

Dirk Eidemüller

OD

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