Ballistische Wärmeleitung sichtbar gemacht
Optische Laufzeit-Thermorückstrahlungs-Methode offenbart Phononenspektrum auf kleinen Skalen.
Für eine ganze Reihe von Anwendungen ist die genaue Kenntnis der Wärmeleitung in Festkörpern von großer Bedeutung. Nicht nur für die Hersteller von Computerchips, sondern insbesondere für die in Zukunft sicherlich wichtiger werdenden thermoelektrischen Elemente und integrierten Nanosysteme sind die thermischen Eigenschaften entscheidende Faktoren. Bislang ist aber noch nicht gut bekannt, wie thermische Transportphänomene in Festkörpern auf kleinen Skalen vonstatten gehen. Bei einer Energiezufuhr an einer Stelle eines Festkörpers führen Gitterschwingungen zum Temperaturausgleich. Diese Phononen zeigen jedoch unterschiedliches Verhalten: Über größere Distanzen – wesentlich über ihrer mittleren freien Weglänge – werden sie vielfach an Gitterfehlern oder aneinander gestreut, so dass ein Diffusionsverhalten gemäß dem Fourierschen Gesetz auftritt. Die Wärmeleitung geschieht dann proportional zur Temperaturdifferenz.
Abb.: Links ist die hybride Struktur zur lokalen Erwärmung und Temperaturmessung zu sehen, rechts eine Rasterelektronenmikroskop-Aufnahme einer Materialprobe. Der weiße Skalenbalken entspricht einem Mikrometer. (Bild: Y. Hu et al. / NPG)
Auf kleinen räumlichen Skalen unterhalb der mittleren freien Weglänge der Phononen ist jedoch das Fouriersche Gesetz verletzt. Die Gitterschwingungen pflanzen sich dann nicht diffusiv, sondern in gerader Linie balllistisch fort, wobei die Wärmeleitfähigkeit zum Teil deutlich geringer ist als im diffusiven Fall. Die Bestimmung des ballistischen Phononenspektrums ist jedoch schwierig: Streuexperimente mit Neutronen sind aufwändig und weltweit auf wenige Forschungseinrichtungen beschränkt. Zudem benötigen sie für die Messung möglichst Einkristalle.
Gang Chen und seine Kollegen vom MIT haben deshalb eine neue Methode entwickelt, ballistische Phononenspektren in unterschiedlichen Festkörpern zu bestimmen. Das Problem bei derartigen Messungen besteht zunächst darin, dass die mittlere freie Weglänge von Phononen in gängigen Halbleitermaterialien oder Dielektrika nur bei tiefen Temperaturen groß wird. Bei Raumtemperatur liegt die Wellenlänge der Phononen teilweise im Nanometerbereich. Da bei großflächig erhitzten Strukturen diffusive Wärmeleitung auftritt, muss man zum Studium des ballistischen Transports möglichst kleine Flächen unterhalb der freien Weglänge erhitzen. Will man nun etwa mit einem kurzen Laserpuls eine Probe punktgenau erwärmen, um ballistische Phononen anzuregen, so ist durch die Beugungsgrenze des Lasers der zu erwärmende Fleck in der Größenordnung von einem Mikrometer und damit für viele Phononenmoden schon etwa um eine Größenordnung zu groß. Denn für viele gängige Materialien besitzt ein großer Teil der Phononen Wellenlängen im Bereich einiger hundert Nanometer.
Die Wissenschaftler haben deshalb mit speziellen Hybridstrukturen gearbeitet. Anstatt das Laserlicht zu fokussieren, lenkten sie es auf spezielle Aluminiumpunkte, deren Größe sie variierten. Das Aluminium nahm die Laserenergie punktuell auf und sorgte für ballistische Phononen. Deren Ausbreitung untersuchten die Forscher ebenfalls per Laserlicht. Die Wissenschaftler verwendeten für ihre Messungen einen durchstimmbaren Titan-Saphir-Laser mit zweihundert Femtosekunden langen Pulsen, den sie in zwei Strahlen aufteilten. Der eine sorgte nach einer Wellenlängenhalbierung auf vierhundert Nanometer für die Heizung. Der andere Strahl lief durch eine einstellbare Verzögerungsstufe und konnte so den Wärmetransport in der Probe mit kurzem Zeitversatz auslesen.
Mit dieser Laufzeit-Thermorückstrahlungs-Methode (time-domain thermo-reflectance – TDTR) untersuchten die Wissenschaftler dann verschiedene Materialien. Indem sie die Größe der Aluminiumflecken zwischen dreißig Nanometern und sechzig Mikrometern variierten, konnten sie systematisch die verschiedenen Phononenmoden bestimmen. Dabei zeigte sich, wie stark die Wärmeleitung von der Mischung aus ballistischer und diffusiver Phononenpropagation abhing. Je kleiner die Aluminiumflecken waren, desto stärker wurde die Abweichung vom Fourierschen Gesetz.
Die Forscher testeten ihr Verfahren an einer Silizium-Germanium-Legierung, an Galliumarsenid, an Galliumnitrid sowie an Saphir. Die gemessenen Phononenspektren stimmten gut mit theoretisch erwarteten Werten überein. Bei sehr kleinen Aluminiumflecken unterhalb von hundert Nanometern verringerte sich die Wärmeleitfähigkeit von Silizium oder Galliumnitrid sogar um bis zu neunzig Prozent im Vergleich zu großflächiger Erhitzung mit diffusiver Wärmeleitung. Und bei einer Silizium-Germanium-Legierung mit nur acht Promille Germaniumanteil etwa sank die Wärmeleitfähigkeit aufgrund der durch das Germanium verursachten Unreinheiten im Kristallgitter und der dadurch verursachten Streuung auf rund ein Drittel.
Diese weite Spanne an genau einstellbarem Verhalten ist insbesondere deshalb interessant, weil sich auf diese Weise maßgeschneiderte Materialien mit präzise definierten thermischen und thermoelektrischen Eigenschaften herstellen lassen. So kann man etwa mit Hilfe spezifischer Streuzentren die Weglänge der Phononen beeinflussen. Damit lassen sich zum Beispiel thermoelektrische Elemente optimieren, die zugleich elektrisch leitend, aber thermisch isolierend sein sollen.
Dirk Eidemüller
Weitere Infos
OD