Bei Entspannung eiskalt
Elastokalorisches Material auf Nickel-Mangan-Titan-Basis erreicht erheblichen Kühleffekt.
Kühltechnik für Lebensmittel sowie Klimaanlagen sind für einen erheblichen Teil des globalen Energieverbrauchs verantwortlich. Und dieser Anteil wird noch steigen, wenn im Zug der Klimaerwärmung immer mehr Menschen in klimatisierten Räumen wohnen und arbeiten wollen und wenn immer mehr Menschen Zugriff auf eine breite Palette von Lebensmitteln wünschen. Effizienzsteigerungen bei den eingesetzten Kühlmethoden sind deshalb von großer Bedeutung, um in Zukunft Kohlendioxidemissionen einzusparen. Die heute in breitem Maßstab eingesetzte Kühltechnik ist nicht besonders effizient: Die Kompression und Expansion von Kühlmitteln, die in einem geschlossenen Kreislauf zirkulieren, erreicht im praktischen Einsatz nur bescheidene Wirkungsgrade im Vergleich zum theoretisch erreichbaren Optimum.
Als Alternativen bieten sich verschiedene Arten magneto-, elektro- und elastokalorischer Systeme an. Diese wandeln strukturelle Änderungen in einem Material in Temperaturunterschiede um. So wird das Material durch Anlegen von Druck oder eines elektrischen oder Magnetfeldes zunächst erhitzt. Dann gibt es seine Wärme an die Umgebung ab. Bei Entspannung oder Abschalten des Feldes kühlt sich das Material unter die Umgebungstemperatur ab und kann als Kühlmittel wirken. Bislang haben sich diese Verfahren aber industriell nicht durchgesetzt, da ihre Kühlleistung zu schwach ist oder die Stoffe ihre Effizienz im Lauf der Zeit verlieren. Ein internationales Forscherteam um Daoyong Cong von der University of Science and Technology in Peking hat nun eine neue Substanz untersucht, die überraschend gute Eigenschaften als elastokalorisches Kühlmittel aufweist.
Vor allem Formgedächtnislegierungen eignen sich für diese Zwecke. Diese Metalle nehmen bei Erwärmung ihre ursprüngliche Form wieder an, wenn sie verbogen wurden. Bislang wurden diese Stoffe für allem in Hinsicht auf ihre Elastizität genutzt und nicht als Kühlmittel. Da die Verformung aber auch mit Temperaturänderungen einhergeht, haben die Wissenschaftler diese Eigenschaften nun gezielt optimiert. Dazu nahmen die Forscher eine Klasse von polykristallinen Nickel-Mangan-basierten Legierungen unter die Lupe. Diese formten sie zu Zylindern und setzten sie entlang ihrer Achse unter Druck. Bei einem Druck von einigen hundert Megapascal durchgehen diese Materialien einen martensitischen Phasenübergang. Hierbei ändert sich die Gitterstruktur, ohne dass Diffusion auftritt oder sich Konzentrationsunterschiede herausbilden. Wichtig für eine mögliche Anwendung ist dabei der Temperaturbereich, in dem der Effekt auftritt: Er sollte ungefähr bei Raumtemperatur, sowie etwas darunter und darüber liegen.
Es gelang den Wissenschaftlern, eine optimierte Legierung zu finden, die einen ausgeprägten Phasenübergang aufweist. Sowohl die Volumenänderung als auch die Temperaturunterschiede sind dabei überraschend groß, wobei diese Werte eine Korrelation aufweisen: Hohe Unterschiede im Volumen gehen meist mit hohen Temperaturänderungen einher. Ein Anteil an Titan in der Legierung verstärkt den Effekt. Eine kleine Menge Bor erhöht die Stabilität unter hohem Druck. Das Volumen variiert um bis zu 1,89 Prozent, wie Hochenergie-Röntgenbeugungsexperimente mit Synchrotronstrahlung zeigen. Derartige Unterschiede sind größer als bei vergleichbaren Legierungen, die statt Titan andere Metalle wie Zinn, Indium oder Antimon nutzen. Dabei konnten die Forscher bei einem Druck von etwa siebenhundert Megapascal reversible Temperaturunterschiede von bis zu 31,5 Kelvin messen. Das ist der bislang höchste Wert im Vergleich mit anderen elasto-, elektro- und magnetokalorischen Materialien. Die reversible isothermale Entropieänderung beträgt bis zu 45 J kg−1 K−1. Dabei heben die Forscher hervor, dass ihre Designstrategie sich auch für die Analyse von ferroelastischen Materialien eignet, bei denen sie ebenfalls große kalorische Effekte erwarten.
Eine solche elastokalorische Kühlung hat auch weitere Vorteile: Sie lässt sich besser miniaturisieren und erzeugt weniger Geräusche und Vibrationen als herkömmliche Kompressionsverfahren. Außerdem entfallen die häufig umwelt- oder gesundheitsschädlichen Kältemittel. Es bleibt jedoch abzuwarten, ob sich solche Materialien auch industriell durchsetzen können und welche technologische Umsetzung praktikabel ist. Hierzu ist einerseits die Langlebigkeit dieser mechanisch stark beanspruchten Materialien entscheidend. Außerdem sollte ein effizientes elastokalorimetrisches Kühlsystem einen möglichst großen Teil der in die Kompressionsarbeit hineingesteckten Energie wieder zurückgewinnen, um eine hohe Gesamteffizienz zu erreichen. An diesem Problem muss noch gearbeitet werden, bevor derartige Lösungen marktreif werden. Da diese polykristallinen Legierungen nicht teuer zu produzieren sind, könnten sie sich dann aber als effiziente Kühlsysteme erweisen.
Dirk Eidemüller
Weitere Infos
- Originalveröffentlichung
D. Cong et al.: Colossal Elastocaloric Effect in Ferroelastic Ni-Mn-Ti Alloys, Phys. Rev. Lett. 122, 255703 (2019); DOI: 10.1103/PhysRevLett.122.255703 - State Key Laboratory for Advanced Metals and Materials, University of Science and Technology Beijing, Peking, China
Weitere Beiträge:
- J. Tušek et al.: A regenerative elastocaloric heat pump, Nat. Energy 1, 16134 (2016); DOI: 10.1038/nenergy.2016.134
- J. O. Löfken: Kälte aus dem Kristall, pro-physik.de, 28. März 2019
RK