04.07.2019 • EnergieMaterialwissenschaften

Bei Entspannung eiskalt

Elastokalorisches Material auf Nickel-Mangan-Titan-Basis erreicht erheblichen Kühleffekt.

Kühltechnik für Lebensmittel sowie Klimaanlagen sind für einen erheblichen Teil des globalen Energie­verbrauchs verantwortlich. Und dieser Anteil wird noch steigen, wenn im Zug der Klima­erwärmung immer mehr Menschen in klimatisierten Räumen wohnen und arbeiten wollen und wenn immer mehr Menschen Zugriff auf eine breite Palette von Lebensmitteln wünschen. Effizienz­steigerungen bei den eingesetzten Kühlmethoden sind deshalb von großer Bedeutung, um in Zukunft Kohlen­dioxid­emissionen einzusparen. Die heute in breitem Maßstab eingesetzte Kühltechnik ist nicht besonders effizient: Die Kompression und Expansion von Kühlmitteln, die in einem geschlossenen Kreislauf zirkulieren, erreicht im praktischen Einsatz nur bescheidene Wirkungs­grade im Vergleich zum theoretisch erreichbaren Optimum.

Abb.: Elastokalorischer Kreislauf, bei dem Druckunterschiede zur Kühlung...
Abb.: Elastokalorischer Kreislauf, bei dem Druckunterschiede zur Kühlung eingesetzt werden. (Bild: APS / A. Stonebraker)

Als Alternativen bieten sich verschiedene Arten magneto-, elektro- und elasto­kalorischer Systeme an. Diese wandeln strukturelle Änderungen in einem Material in Temperaturunterschiede um. So wird das Material durch Anlegen von Druck oder eines elektrischen oder Magnet­feldes zunächst erhitzt. Dann gibt es seine Wärme an die Umgebung ab. Bei Entspannung oder Abschalten des Feldes kühlt sich das Material unter die Umgebungs­temperatur ab und kann als Kühlmittel wirken. Bislang haben sich diese Verfahren aber industriell nicht durch­gesetzt, da ihre Kühlleistung zu schwach ist oder die Stoffe ihre Effizienz im Lauf der Zeit verlieren. Ein inter­nationales Forscher­team um Daoyong Cong von der University of Science and Technology in Peking hat nun eine neue Substanz untersucht, die über­raschend gute Eigen­schaften als elasto­kalorisches Kühlmittel aufweist.

Vor allem Formgedächtnis­legierungen eignen sich für diese Zwecke. Diese Metalle nehmen bei Erwärmung ihre ursprüngliche Form wieder an, wenn sie verbogen wurden. Bislang wurden diese Stoffe für allem in Hinsicht auf ihre Elastizität genutzt und nicht als Kühlmittel. Da die Verformung aber auch mit Temperatur­änderungen einhergeht, haben die Wissenschaftler diese Eigen­schaften nun gezielt optimiert. Dazu nahmen die Forscher eine Klasse von poly­kristallinen Nickel-Mangan-basierten Legierungen unter die Lupe. Diese formten sie zu Zylindern und setzten sie entlang ihrer Achse unter Druck. Bei einem Druck von einigen hundert Megapascal durchgehen diese Materialien einen marten­sitischen Phasen­übergang. Hierbei ändert sich die Gitter­struktur, ohne dass Diffusion auftritt oder sich Konzentrations­unter­schiede heraus­bilden. Wichtig für eine mögliche Anwendung ist dabei der Temperatur­bereich, in dem der Effekt auftritt: Er sollte ungefähr bei Raum­temperatur, sowie etwas darunter und darüber liegen. 

Es gelang den Wissenschaftlern, eine optimierte Legierung zu finden, die einen ausgeprägten Phasen­übergang aufweist. Sowohl die Volumenänderung als auch die Temperatur­unter­schiede sind dabei überraschend groß, wobei diese Werte eine Korrelation aufweisen: Hohe Unterschiede im Volumen gehen meist mit hohen Temperatur­änderungen einher. Ein Anteil an Titan in der Legierung verstärkt den Effekt. Eine kleine Menge Bor erhöht die Stabilität unter hohem Druck. Das Volumen variiert um bis zu 1,89 Prozent, wie Hochenergie-Röntgen­beugungs­experimente mit Synchrotron­strahlung zeigen. Derartige Unterschiede sind größer als bei vergleich­baren Legierungen, die statt Titan andere Metalle wie Zinn, Indium oder Antimon nutzen. Dabei konnten die Forscher bei einem Druck von etwa sieben­hundert Megapascal reversible Temperatur­unter­schiede von bis zu 31,5 Kelvin messen. Das ist der bislang höchste Wert im Vergleich mit anderen elasto-, elektro- und magnetokalorischen Materialien. Die reversible isothermale Entropie­änderung beträgt bis zu 45 J kg−1 K−1. Dabei heben die Forscher hervor, dass ihre Design­strategie sich auch für die Analyse von ferro­elastischen Materialien eignet, bei denen sie ebenfalls große kalorische Effekte erwarten.

Eine solche elastokalorische Kühlung hat auch weitere Vorteile: Sie lässt sich besser miniaturisieren und erzeugt weniger Geräusche und Vibrationen als herkömmliche Kompressions­verfahren. Außerdem entfallen die häufig umwelt- oder gesundheits­schädlichen Kältemittel. Es bleibt jedoch abzuwarten, ob sich solche Materialien auch industriell durchsetzen können und welche techno­logische Umsetzung praktikabel ist. Hierzu ist einerseits die Langlebigkeit dieser mechanisch stark beanspruchten Materialien entscheidend. Außerdem sollte ein effizientes elasto­kalori­metrisches Kühlsystem einen möglichst großen Teil der in die Kompressions­arbeit hinein­gesteckten Energie wieder zurückgewinnen, um eine hohe Gesamt­effizienz zu erreichen. An diesem Problem muss noch gearbeitet werden, bevor derartige Lösungen marktreif werden. Da diese poly­kristallinen Legierungen nicht teuer zu produzieren sind, könnten sie sich dann aber als effiziente Kühlsysteme erweisen.

Dirk Eidemüller

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