27.09.2021

Bereit zur Planetenproduktion

Protoplanetare Scheibe bei GM Aurigae zeigt instabile Region, die Bildung riesiger Gasplaneten begünstigt.

Mit Radiodaten des ALMA-Observatoriums und einem vereinfachten Modell konnten Astronomen um Kamber Schwarz (Max-Planck-Institut für Astronomie und Universität Arizona) die Masse einer potenziellen „Planeten­fabrik“ bestimmen, der protoplanetaren Scheibe um den Stern GM Aurigae. Die Untersuchung schließt die Rekonstruktion des Temperatur­profils ein und deutet daraufhin, dass die Fabrik gerade im Begriff ist, mit der Planeten­produktion zu beginnen: In einer instabilen Region dürften die Bedingungen für die Bildung eines riesigen Gasplaneten gegeben sein. Die Ergebnisse demonstrieren die Fortschritte, die die Astronomie bei der direkten Erforschung der Planeten­entstehung macht.

 

Abb.: Künstlerische Darstellung einer proto­planetaren Scheibe ähnlich der...
Abb.: Künstlerische Darstellung einer proto­planetaren Scheibe ähnlich der Planeten­fabrik rund um GM Aurigae (Bild: M. Weiss / Center for Astro­physics / Harvard & Smithsonian)

Planeten wie unsere Erde entstehen in riesigen Scheiben aus Gas und Staub rund um junge Sterne. In den letzten Jahrzehnten konnten die Astronomen solche proto­planetaren Scheiben immer detaillierter erforschen. Aber es bleibt eine Herausforderung, herauszufinden, ob in einer solchen Scheibe bereits Planeten entstehen oder nicht. Nun hat ein Astronomen­team den bisher erfolgreichsten Versuch der „Industriespionage“ in einer solchen Planetenfabrik veröffentlicht: Aus Beobachtungen der Scheibe um den jungen Stern GM Aurigae, einen T-Tauri-Stern, mit dem ALMA-Observatorium, kombiniert mit Daten des ESA-Weltraum­observatoriums Herschel, fanden sie Hinweise darauf, dass der Kollaps in einer Region innerhalb der Scheibe bereits begonnen hat, und dass dort gerade ein riesiger Gasplaneten entstehen dürfte. Scheibe und Stern sind etwas mehr als 500 Lichtjahre von uns entfernt – sozusagen unsere engere galaktische Nachbarschaft.

Die Arbeit von Schwarz und ihren Kollegen ist Teil eines größeren Programms namens MAPS, „Molecules with ALMA at Planet-forming Scales“, das von Karin Öberg geleitet wird, einer Astronomin am Center for Astrophysics von Harvard und Smithsonian (CfA). Öberg sagt: „Mit ALMA konnten wir sehen, wie die verschiedenen Moleküle dort verteilt sind, wo gerade neue Exoplaneten entstehen.“ Die neuen Ergebnisse wurden als Teil einer Sonderausgabe des Astrophysical Journal Supplement mit insgesamt 20 Artikeln aus dem MAPS-Programm veröffentlicht.

Das ALMA-Observatoriums arbeitet bei Millimeter- und Submillimeter-Wellenlängen und kann dabei nicht nur allgemein Moleküle aufzuspüren, sondern deren räumliche Verteilung in einer protoplanetaren Scheibe untersuchen. Diese Informationen zur Struktur waren für das, was Schwarz und ihre Kollegen vorhatten, entscheidend.

Will man wissen, ob eine protoplanetare Masse instabil ist und sich entsprechend gerade Planeten bilden dürften, ist es wichtig, die Masse der Scheibe zu kennen. Der größte Teil der Masse der Scheibe besteht allerdings aus Wasserstoff­molekülen, H2. Solche Moleküle sind schwierig nachzuweisen, denn bei den vergleichsweise niedrigen Temperaturen einer protoplanetaren Scheibe geben sie so gut wie keine Strahlung ab.

In solchen Situationen versuchen die Astronomen, „Tracer-Moleküle“ zu finden, also Moleküle, die einerseits charakteristische Strahlung aussenden und entsprechend einfach beobachtet werden können, und die man andererseits typischerweise gerade dort findet, wo auch molekularer Wasserstoff ist. Kann man Vorhandensein und Menge der Tracer-Moleküle aus den Beobachtungen ermitteln, lässt sich daraus auf das Vorhandensein und die Menge des molekularen Wasserstoffs schließen.

Für eine protoplanetare Scheibe, wie in diesem Fall, ist ein eher ungewöhnliches Molekül mit der Bezeichnung HD, Wasserstoff­deuterid, ein besonders nützliches Tracer-Molekül. HD ist ein Molekül, das aus einem gewöhnlichen Wasserstoffatom und einem schweren Wasserstoffatom besteht, Deuterium.

HD ist chemisch identisch mit gewöhnlichem H2. Daher sollte man erwarten, dass HD und H2 immer in ungefähr demselben Verhältnis vorkommen, auch in einer protoplanetaren Scheibe. Im Gegensatz zu gewöhnlichem H2 kann HD aber durch Beobachtungen gut nachgewiesen werden, nämlich mit Hilfe der Ferninfrarot-Strahlung, die das Molekül beim Übergang zwischen zwei verschiedenen Rotations­zuständen aussendet. Für die Scheibe um GM Aurigae hatte das auf Ferninfrarot- und Submillimeter-Beobachtungen spezialisierte Weltraum­observatorium Herschel der ESA diese charakteristische HD-Strahlung bereits beobachtet.

Die Strahlungsmenge hängt in solch einem Fall allerdings von zwei Faktoren ab: von der Menge der vorhandenen HD-Moleküle, aber auch von der Temperatur. Um die Menge an HD zu ermitteln und daraus die Masse von H2 in der Scheibe abzuschätzen, mussten Schwarz und ihre Kollegen deswegen zunächst die Temperatur in den verschiedenen Regionen der Scheibe rekonstruieren. Hier kam das MAPS-Programm mit seiner gründlichen Untersuchung einer Vielfalt von Moleküllinien ins Spiel.

Sowohl Atome als auch Moleküle senden charakteristische Strahlung in zahlreichen sehr schmalen Wellenlängen­bereichen aus – konkret als Emissions­linien, wenn Moleküle beispielsweise durch Zusammen­stöße mit anderen Molekülen angeregt werden. Bei Molekülen liegen die Spektral­linien typischerweise im Infrarot- oder Submillimeter- oder Millimeter­bereich des elektro­magnetischen Spektrums. Moleküllinien im Submillimeter- und Millimeterwellen­bereich sind das Hauptziel der MAPS-Beobachtungen.

Wieviel Strahlung bei welcher charakteristischen Frequenz emittiert wird, hängt von der verfügbaren Energie ab, insbesondere von der Temperatur des betreffenden Molekül­gases – mit steigender Temperatur werden neue Quanten­zustände zugänglich, und die Hauptstrahlungsleistung verschiebt sich zu anderen Frequenzen. So nimmt zum Beispiel die Energie bestimmter Strahlungsarten von Kohlen­monoxid­molekülen mit der Temperatur ab und lässt sich daher wie ein natürliches kosmisches Thermometer nutzen.

Schwarz und ihre Kollegen fügten für ihre Arbeit all diese Informationen zusammen und erstellten mit ihrer Hilfe ein (achsensymmetrisches) physikalisches Modell für die protoplanetare Scheibe. Das Modell war detailliert genug, um die Verteilung von Gas und Staub sowie die unterschiedlichen Temperaturen zu reproduzieren. Die Forscher passten ihre Modell­parameter an, bis sie die bestmögliche Übereinstimmung mit den diversen Beobachtungen erreicht hatten – insbesondere mit der CO-Verteilung, der Temperaturverteilung, wie sie aus einem kosmischen Thermometer aus elf Emissionslinien von Kohlenstoff­monoxid hervorgeht, und die Daten des Weltraum­observatoriums Herschel für HD.

Das ergab die bisher beste Massenschätzung für eine protoplanetare Scheibe dieser Art, nämlich dass die Scheibe Material im Wert von 0,2 Sonnenmassen enthält – ein überraschend großer Wert. Die Scheibe ist vergleichsweise kalt, denn 32 Prozent der Masse sind kälter als 20 Kelvin.

Mit Hilfe eines Parameters, dessen Wert die Stabilität oder Instabilität bestimmter Regionen einer solchen Scheibe angibt („Toomre-Q-Parameter“), konnte die Gruppe außerdem zeigen, dass die meisten Regionen der Scheibe zwar stabil sind und nicht zu kollabieren drohen, es aber eine Ausnahme gibt: Innerhalb eines bestimmten Abstands vom Zentralstern – zwischen dem 70- und 100-fachen des Abstands Erde-Sonne – scheint das Scheibenmaterial an der Grenze zur Instabilität zu stehen.

Die betreffende Region ist in Beobachtungen, die Strahlungs­emissionen von Staub zeigen, als heller Ring sichtbar. Das Vorhandensein erheblicher Staubmengen schirmt diese Region von der Strahlung des Sterns ab, was wiederum zu niedrigeren Temperaturen führt, die den Gravitations­kollaps begünstigen. Alles in allem deutet dies darauf hin, dass die Planeten­produktion dort bereits begonnen haben dürfte, wobei das wahrscheinlichste Produkt ein zukünftiger riesiger Gasplanet ist.

Um sicher zu sein, dass dort tatsächlich ein neuer Planet entsteht, sind jedoch weitere Beobachtungen erforderlich. Insbesondere würde man bei der Planetenbildung erwarten, dass eine bestimmte Teilregion des Rings kollabiert. Das physikalische Modell, auf dem die vorliegenden Schluss­folgerungen beruhen, ist jedoch achsensymmetrisch und modelliert die Scheibe lediglich als eine Ansammlung von Ringen. Damit lässt das derzeitige Modell insbesondere keine Bewegung des Gases innerhalb eines solchen Ringes zu – was aber wichtig zu wissen wäre, um entscheiden zu können, ob die richtigen Bedingungen für einen lokalen Kollaps und die anschließende Planeten­bildung vorliegen.

Schwarz und ihre Kollegen wollen als nächstes die Beschaffenheit der potenziell instabilen Region mit Hilfe eines anderen Teils der MAPS-Daten zu untersuchen: Bestimmte Eigenschaften der Spektrallinien, insbesondere die Breite des Wellenlängen­bereichs einer gegebenen Linie, ermöglichen es den Forschern, die Geschwindigkeiten zu rekonstruieren, mit denen sich das Gas in der beobachteten Scheibenregion bewegt. Nimmt man diese Daten hinzu, sollte sich mit deutlich größerer Sicherheit beurteilen lassen, ob die Scheibe einen gerade neu entstehenden Planeten enthält oder nicht.

Die Ergebnisse zeigen eindrucksvoll, wie weit die Astronomie bei der Erforschung der Anfänge der Planeten­entstehung gekommen ist: von grob aufgelösten Beobachtungen junger Sterne hin zu detaillierten Abbildung der protoplanetaren Scheiben um sie herum, und jetzt eben zur Kartierung der verschiedenen Molekülarten in solchen Scheiben – mit den Ergebnissen zur Planeten-Produktion als schönes Beispiel für eine direkte Anwendung.

MPIA / DE

 

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