27.02.2015

Bestrahlung im Fingerhut

In Garching wird die Forschungsneutronenquelle FRM2 um eine weitere Bestrahlungsanlage ergänzt, damit sie ab 2018 Molybdän-99 produzieren kann. Aus diesem lässt sich das für die Medizin wichtige Radionuklid Technetium gewinnen.

In den vergangenen Jahren schlugen Nuklearmediziner immer wieder Alarm, weil die Versorgung mit dem Radionuklid Technetium-99m bedroht war. Dieses metastabile Isotop ist das Arbeitspferd der Nuklearmedizin – in über drei Millionen Untersuchungen pro Jahr kommt es allein in Deutschland zum Einsatz. Doch gerade einmal acht Reaktoren weltweit produzieren das Mutternuklid Molybdän-99. Sechs davon sind älter als 40 Jahre und nähern sich dem Ende ihrer Betriebslaufzeit. Mehrfach kam es zu Engpässen, weil Reaktoren für aufwändige Wartungen stillgestanden haben oder längere Zeit ausgefallen sind. Aus diesem Grund haben Wissenschaftler an der Forschungs-Neutronenquelle Heinz Maier-Leibnitz (FRM II) 2009 in einer Machbarkeitsstudie gezeigt, dass sich der FRM II für nur 5,4 Millionen aufrüsten lässt für die Produktion von Molybdän-99. Inzwischen sind viele Vorarbeiten erledigt.

An dieser Versuchsanlage erproben die Wissenschaftler den gesamten Ablauf der Bestrahlung von Uran-235 zur Produktion von Molybdän-99. Rund 7,5 Meter groß ist der Aufbau und reicht fast vier Meter in den Keller hinein.

Warum aber ist die Versorgung mit Technetium eigentlich so schwierig? Technetium-99m hat eine Halbwertszeit von nur sechs Stunden und lässt sich daher nicht auf Vorrat lagern. Sein Mutternuklid Molybdän-99 entsteht zu etwa sechs Prozent bei der Spaltung von Uran-235. Mit einer Halbwertszeit von 66 Stunden zerfällt Mo-99 dann zu Tc-99m, das insbesondere für die Untersuchung von Schilddrüse, Lunge, Herz, Leber, Niere oder Skelett zum Einsatz kommt. Das metastabile Radioisotop bindet sich hervorragend an verschiedene stoffwechselaktive Substanzen, die sich gezielt beispielsweise an Zellen eines bestimmten Organs oder an Tumoren anheften. Beim Übergang in den stabilen Grundzustand emittiert Technetium-99m niederenergetische Gammastrahlung bei 140 keV, die fast keine Zellschäden verursacht und die sich bei der Untersuchung nachweisen lässt. Aufgrund der hervorragenden Eigenschaften ist Technetium-99m in der Diagnostik durch kein anderes Isotop zu ersetzen. „Es ist unbestritten, dass Europa weitere Kapazitäten zur Produktion von Molybdän-99 bereitstellen muss. Dazu wollen wir beitragen“, sagt Heiko Gerstenberg, der maßgeblich an dem Umbau am FRM II beteiligt ist.

Die Arbeiten für den Umbau gehen mit großen Schritten voran, und doch gestalten sie sich schwierig. Das liegt auch an der gewählten Bestrahlungsposition für die neue Molybdän-Anlage. Die muss nämlich so dicht am Brennelement des Reaktors wie möglich sein, damit besonders viele Neutronen auf das Urantarget treffen. Dafür bot sich nur ein Platz an, der schwer zugänglich ist und dessen Durchmesser nur neun Zentimeter beträgt. Die Targets, Halterungen, Wasserkühlung etc. müssen daher in einem schmalen Fingerhutrohr untergebracht werden, das die Wissenschaftler bereits an der gewählten Bestrahlungsposition installiert haben. Bis zu 16 Targets aus niedrig angereichertem Uran (LEU) lassen sich dort gleichzeitig bestrahlen. Die laufenden Reaktoren nutzen noch hoch angereichertes Uran zur Herstellung von Molybdän-99, das allerdings zukünftig zur Targetproduktion nicht mehr verfügbar sein wird. Der FRM II wird daher niedrig angereichertes Uran einsetzen, was die Projektarbeiten weit zurückgeworfen hat. Denn die Abnehmer der bestrahlten Targets haben lange gebraucht, um die Geometrie dafür festzulegen. „In der Zeit konnten wir nur mit den Hufen scharren“, bedauert Heiko Gerstenberg, „denn wenn Sie nicht wissen, wie das Target aussieht, können Sie schlecht eine Anlage dafür aufbauen.“

In diesen Halterungen stecken die Brennelemente. Vollautomatisch wird es dann möglich sein, bestrahlte Targets abzulegen und im gleichen Schritt ein unbestrahltes aufzunehmen.

Inzwischen gibt es zumindest eine Versuchsanlage im Maßstab 1:1, an der die Wissenschaftler nicht nur alle Abläufe testen, sondern beispielsweise auch die Kühlung. „Bei der Bestrahlung entstehen über 400 kW Wärme, die abgeführt werden müssen. Das ist keineswegs trivial“, erläutert Winfried Petry, Wissenschaftlicher Direktor des FRM II. „Außerdem beeinflussen die zusätzlichen Uran-Targets empfindlich die Reaktivität des ganzen Reaktors.“ Aus diesem Grund muss der geplante Aufbau ein Genehmigungsverfahren nach dem deutschen Atomrecht durchlaufen. Den Antrag dafür wollen die Wissenschaftler in den nächsten Wochen einreichen.

Als nächstes soll an der Versuchsanlage der Antrieb erneuert werden, der die Targets im Reaktor versenkt und wieder aus der Bestrahlungsposition hinaus fährt. Noch ist es erforderlich, jeden Schritt manuell durchzuführen. Später soll alles voll automatisch ablaufen, und zwar komplett unter Wasser. Denn die gesamte Bestrahlung und der Betrieb des Reaktors finden zur Abschirmung im mehrere Meter tiefen Wasserbecken statt. Momentan planen die Wissenschaftler, ihre Anlage 2017 einbauen zu können – während einer regulären Wartungspause. Die Inbetriebnahme wird sukzessive erfolgen. „Wie genau wir die Anlage hochfahren, wird uns die Genehmigungsbehörde vorgeben“, erläutert Heiko Gerstenberg.

In dem Schacht unter der weißen Abdeckung (roter Pfeil) werden die niedrig angereicherten Urantargets mit Neutronen bestrahlt, um Molybdän zu erzeugen.

Während die deutschen Wissenschaftler bei der Versorgung mit Technetium auf die Herstellung über Uranspaltung setzen, versuchen sich kanadische Wissenschaftler an alternativen Verfahren, beispielsweise mithilfe eines Teilchenbeschleunigers. Bei diesem entsteht hochenergetische Röntgenstrahlung, die aus einer Probe mit angereichertem Mo-100 ein Neutron aus dem Kern herausschlägt und so Mo-99 erzeugen kann. Winfried Petry verhehlt seine Skepsis dazu nicht: „Diese Verfahren sind sehr teuer und können den Bedarf an Radioisotopen nicht decken.“ Darüber hinaus haben die Kanadier die Versorgungskrise mit Molybdän-99 überhaupt erst verursacht. Denn mit zwei Maple Reaktoren (Multipurpose Applied Physics Lattice Experiment) wollten sie sich Anfang des letzten Jahrzehnts das Monopol auf die Herstellung von Mo-99 sichern. Probleme bei der Inbetriebnahme des ersten der beiden Reaktoren führten allerdings dazu, dass diese nie in Betrieb gingen. Aus diesem Grund wurde der FRM II ohne eine entsprechende Bestrahlungsanlage gebaut, obwohl diese ursprünglich vorgesehen war. „Das war meine größte Fehlentscheidung“, bedauert Winfried Petry, der das Projekt am FRM II nun aber mit großem Eifer vorantreibt. Wenn alles gut geht, könnte der FRM II ab 2018 bis zu 50 Prozent des europäischen Bedarfs an Mo-99 liefern.

Maike Pfalz

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